Immer noch bin ich nicht frei davon, zu befürchten, was andere über mein künstlerisches Können oder Nichtkönnen zu sagen hätten. Meine Ideen. Immer noch ist es so, dass mich allein schon die Vorahnung dessen, was als Reaktion auf meine Arbeit eintreffen könnte, vom Handeln abhalten kann.
Ich verhalte mich wie jemand, der übelste Kritik und Häme einstecken musste – ein gebranntes Kind. Kaum zu begründen das, denn Zustimmung für meine Position war immer da, Neugier, Unterstützung auch. Sogar Respekt.
Warum also zittere ich oft herum wie ein Junges, was weder zu meiner Stimme, noch zu meiner Erscheinung passt, noch nie, doch mit zunehmendem Alter immer weniger passt, lasse mich von Befürchtungen abhalten, die konventioneller nicht sein könnten?
An anderen weckt solches Verhalten meine schlimmsten Abgrenzungsreaktionen, fast einen Beißtrieb. Vielleicht ja gerade, weil ich’s so gut verstehen kann. Und weil ich dafür bin, solche Bangigkeit zu benennen, doch dann als Schleuse in ein wie auch immer geartetes Anderes zu verwenden. Wer bei der Benennung bleibt, diese immer weiter verfeinert, verfehlt sich; dahinter gibt es etwas.
Ich möchte Erfindungen machen.
Wenn ich eine Figur zeichne.
Wenn ich einen Text schreibe, ein Wort verwende, das mir zufliegt.
Es geht um Ausholen. Rezeptiv sein und ausholen, sehen, was aus der subjektiven Themenwelt zu greifen ist, manifestiert werden kann. Es dann auch abbilden, ohne Scheu.
Die Scheu hat immer mit einer möglichen Reaktion anderer zu tun. Man gewöhnt sich sehr gut, zu gut daran, in ihr zu wohnen, wie in einer Aura, wie in einem Pavillon, der in einem abgelegenen Park steht und in den sich nur selten Besucher von außen verirren.
Während ich schreibe in der Pariser Wohnung, bei offenen Fenstern, dringt ein Streitgespräch zu mir herüber, das quer über den Hof in einer anderen Wohnung geführt wird. Eine Frau, ein Mann. Beide sprechen akzentuiertes Französisch. Seit einer ganzen Weile gehen die Stimmen auf und ab.
Eben sagt die Frau:
-Tu me prends pur une merde. Tu m’ecoutes jamais. Ich bin scheiße für dich. Du hörst mir niemals zu.
– Je ne comprends pas, sagt er. Je te prends pas pour une merde. Ich verstehe nicht. Du bist nicht scheiße für mich.
Die Frau hat eine Stimme, die aus dichtestem Gewimmel herausragen würde, sehr deutlich spricht sie.
– Tu t’arranges, sagt sie, du arrangierst dich.
Ihre Ansprache zeitlos in ihren Wellen, routiniert, immer wieder aufs Neue an den Strand des anderen anspülend.)
Doch zurück zu meinen eigenen…
Was treibt mich? Warum wollte ich immer Künstlerin sein, schöpferisch arbeiten? Und warum – da dieser Drang doch stark genug war, für den Freiraum, den er benötigt, einiges an Sicherheit und Konvention ziehen zu lassen – warum zaudere ich dann immer noch so sehr, dass das Zaudern oft mehr Platz einnimmt als die eigentliche Arbeit?
Ich greife zum schweren Wort.
Nein, lieber nicht.
Bei „nein, lieber nicht“ fällt mir ein: Hermann Melville hat 1853 eine seltsame kleine Novelle geschrieben, sie heißt „Bartleby the Scrivener“ und handelt von einem Menschen, der im Laufe der Geschichte an seiner Lebensverweigerung zugrunde geht. Auf Forderungen, die von seinem Vorgesetzten an ihn gestellt werden, sagt er immer wieder den einen Satz: „I would prefer not to“ – ich würde lieber nicht…“
Die Novelle, aus der Perspektive des Vorgesetzten erzählt, ist deshalb so interessant, weil dieser fasziniert ist von der bleiernen Ruhe und Selbstverständlichkeit, mit der sein Schreiber ihm den Gehorsam verweigert: Er wünscht sich dringend, hinter dessen Geheimnis zu kommen, bringt ihm auch Sympathie entgegen.
So wenig kann er der stoischen Ablehnung seines Schreibers entgegensetzen, dass er sich am Schluss gezwungen sieht, aus seinem eigenen Büro auszuziehen, weil Bartleby es sich als Schlafplatz erkoren hat. Er will den Mann schützen. Und sich selbst: Vielleicht, um nicht infiziert zu werden von dessen alles verschlingender Antriebslosigkeit.
Bartleby geht dennoch verloren.
Ich fand immer, das ist eine der traurigsten Geschichten, die ich kenne.
http://www.lesekost.de/us/HHLUS04.htm
Das Zaudern verwandeln.
Darum hab ich mir die Auszeit genommen hier, ein leeres, beunruhigend weißes Atelier bezogen. Inzwischen ist es voller Zeichnungen. Manche davon sind so verkorkst und wuselig, dass ich sie kaum ansehen kann, andere souverän, manche gut. Ich hab mich gezwungen, nur die allernichtigsten wegzuwerfen.
Am schwersten fällt mir, das UND WAS KOMMT ALS NÄCHSTES abzuweisen, das sich immer wieder einschleicht, vergegenwärtigen gehört nicht zu meinen Stärken. Obwohl ich seit Jahren weiß, dass ich nur im Zustand der Ausblendung arbeitsfähig bin.
Wie lange am Stück muss man etwas praktizieren, damit es zu einem Selbstverständnis wird, das den Wiedereintritt in den Alltag übersteht? Ich hatte vier Wochen außerhalb meiner bestehenden Gewohnheiten. Zeit genug, ein paar neue zu entwickeln, vier Monate wären vielleicht besser gewesen. Genug war es doch. Die Stunde Laufen morgens im Park, die Denken und Atmen wenigstens einmal am Tag anders taktet, kann ich auch zuhause beibehalten.
Die Zeichnungen? Mal sehen. Ich hab ein paar Ideen, die doch dem gebieterischen Was Kommt Als Nächstes in die Hände spielen. Der berühmte Flow. Erfahrungsgemäß verändert er sich, wenn das Setting wechselt; auflösen wird er sich nicht.
Morgen räume ich das Atelier.
Für G. und C.