Kein Wort zum Sonntag. Aber ein offenes.

Ich habe mir oft noch keine Meinung gebildet, wenn ich eine haben sollte. Oder will keine haben. Oder gerate über die der anderen so ins Grübeln, dass ich verpasse, zum richtigen Zeitpunkt selbst eine in den Pott zu werfen. Allerdings ist es schon viel besser als früher: Da verstummte ich bei allen Gesprächen, die mehr als zwei Teilnehmer hatten.
Ich unterhalte mich nicht so gerne. Die Meinungen anderer irritieren mich: Warum scheinen sie sich so sicher? Welche Absicht steckt hinter ihren Äußerungen? Warum orientieren sie sich nicht erstmal neu, bevor sie all diese Antworten geben? Sollten Standpunkte nicht bei ständigem Informationsfluss auch ständig neu hinterfragt werden?
Ich tu’ mich schwer mit direkten verbalen Kontakten. Man merkt mir das überhaupt nicht an, was die Sache nicht einfacher macht. Es gefällt mir, einen Tag lang zu schweigen, auch zwei. Eine Woche, meinetwegen. Jetzt, nach den beredten Weihnachtstagen, schweige ich ganz resolut. Bis Sylvester mal mindestens. Ich werde meinen Mund nur zum atmen, essen und küssen benutzen. Das genügt völlig. Mein Sprachzentrum funktioniert momentan eh nicht besonders gut. Als wäre es im Winterschlaf.

Ist es in Ordnung, sich zum Jahresende mal zu vergegenwärtigen, was einem fehlt? Ja? Also los: Ich brauche mehr Biss. Mehr Unbedingtheit und mehr Durchsetzungswillen. Ich kann das auch anders formulieren: Ich muss meine Depressionen besser in den Griff kriegen. Schon allein, weil ich das Wort furchtbar finde. Weil ich auch nicht glaube, dass es viel bringt, sich einzugestehen, depressiv zu sein; man steigert sich da nur noch mehr rein. Handeln, nicht reden… Das Problem ist, ich handele durchaus, doch die Depression lässt sich davon nicht beirren.
Okay.
Ich fang noch mal von vorne an:
Das Depressions-Ding ist so alt, ich kann mich nicht erinnern, es mal nicht in mir gehabt zu haben. Es ernährt sich von meiner Substanz. Es ist weder durch Erfolge noch durch Anerkennung zu beeindrucken. Depression funktioniert wie Fettzellen: Die kann man ganz gut aushungern, bis es von außen so aussieht, als sei man schlank. Kaum aber schlägt man wieder über die Stränge, füllen sie sich neu auf und man ist so mollig wie vorher. Die Depression ist auch so ein Reservoir – man kann sie aushungern durch Handeln, Pläne und gute Ideen, dann glauben alle, man sei ein wunderbarer Kraftprotz. Ich krieg das immer wieder zu spüren.
Vor zwei Wochen hab ich eine Trainer-Schulung mitgemacht: Bei der letzten gemeinsamen Übung ging es darum, dem anderen anonym schriftlich zu spiegeln, wie man ihn wahrnimmt. Die Bemerkungen, die ich erhielt, hätten bestätigender nicht ausfallen können. Ich sei „temperamentvoll, absolut begeisternd, eine starke Persönlichkeit, eine Sprachakrobatin, spannend, energiegeladen“ schrieben meine Kollegen. Ein „ansteckendes Lachen“ hätte ich, sei „nachdenklich“, „offen“, „ausdrucksstark“ und hätte „gut strukturierte Gedanken“. (Ich hatte mir das ausgedruckt, damit ich’s nicht gleich wieder relativiere.)
Das merkwürdige daran ist – in diesen Momenten stimmt das sogar. Kurze Zeit später allerdings ist alles wie weggeblasen: Kaum bin ich nicht mehr „auf Sendung“, füllt sich die Depression wieder auf, als sei nichts gewesen.

Das Problem ist, dass es alles nur noch schlimmer macht, wenn man das Ding thematisiert. Ich zumindest bin schnell genervt, wenn andere anfangen, ihrerseits von Depressionen zu sprechen. Vielleicht, weil ich den Zustand selbst so gut kenne und weiß, reden bringt da nichts. Außer, dass sich die Zuhörenden hilflos und in ihrer eigenen Stimmung ausgebremst fühlen. Ein Depressiver ist ja nicht munter zu machen: Es ist ein sehr hartnäckiger Zustand. Trösten bringt nichts, ebenso wenig wie Mit-gefühl. Ironisieren hilft, aber nur für den Moment.
Das schlimmste – für mich – an diesen Zuständen ist, dass sie trivialer nicht sein könnten: Man verliert seine Individualität, seinen Glanz und seinen Schmelz darin. Selbst meine Sprache leidet darunter; sie wird schlicht. Eine Depression, so hart das auch klingt, ist für niemanden interessant. (Außer vielleicht für Leute, die sich beruflich damit beschäftigen, doch selbst da habe ich meine Zweifel. Wäre ich Psychologin, ich hätte lieber Paranoiker als Klienten. Oder Schizophrene)
Interessant sind Extreme – starke Gefühle… depressiv sein aber fühlt sich an, als wären weite Areale des Empfindens einfach betäubt. Übrig bleibt ein Knoten von Un-lust, der immer die gleichen, dummen Botschaften aussendet. In der öffentlichen Diskussion über dieses Thema wird immer mal wieder die Frage gestellt, warum das Ganze immer noch so ein Tabu ist.
Nun, mit einer von vielen Antworten kann ich aufwarten: Man kommt sich unglaublich banal vor, Depression zur Sprache zu bringen. Weil man sie nicht umwandeln kann: Es entstehen keine Geschichten daraus. Es ist ja nicht so, als empfinge man Botschaften von Außerirdischen, hätte den seltsamen Zwang, immer Dinge zählen zu müssen, oder glaubt, man würde von Dämonen verfolgt. Nee. Das Einzige, was man als Depressiver mitteilen kann, ist, dass man am liebsten sein in Schleifen des nicht-Wollens gefangenes Gehirn gegen ein anderes eintauschen würde. Das ist in einem Satz gesagt. Alles andere zersetzt sich im weißen Rauschen des Betäubtseins.

10 Gedanken zu „Kein Wort zum Sonntag. Aber ein offenes.

  1. Glauben Sie nicht, dass dieser Zustand, den Sie beschreiben (und wie Sie ihn beschreiben…), kein schlechter Boden für sog. künstlerische Arbeit ist, sofern er auf kleiner Flamme gehalten werden kann? Das heißt ja nicht, die Welt mit einem “Mir gehts schlecht!” zuzumüllen, sondern eher, dem Ausdruck einer gewissen “intensiven” Wahrnehmung auch bildnerische Gesichter verleihen zu können. Ich schnuppere hier bei Ihnen ja schon eine Weile immer wieder hinein und habe nicht den Eindruck, die typischen Äußerungen einer zutiefst depressiven Persönlichkeit vorzufinden, auch nicht zwischen den Zeilen. Eine sehr versteckte
    Melancholie (alleinstehende Schwester der ‘Depression’?), ja, vielleicht. /Übrigens glaube ich sehr wohl, dass genau daraus “Geschichten” entstehen können. Und die ‘temporäre’ Ironie als Medizin ist, meine stete Meinung, nicht zu unterschätzen, denn wer will denn schon pausenlos ironisch sein, oder un-ironisch? /Vielleicht kann ich ja nicht mitreden, ich kenne Sie ja gar nicht. Aber ein bisschen, möglicherweise, schon… 😉

    • @ schneck08 Ich stimme Ihnen zu (nicht, dass es darum ginge ; ) was den Nährboden anbetrifft. Die Reaktionen auf gerade diesen Text zeigen mir auch, dass meine Versprachlichung anscheinend nicht so dürr war, wie sie sich während des Schreibens anfühlte. Ich war mir sehr unsicher, ob ich ihn überhaupt online stellen sollte. Aber irgendwie bin ich’s leid, mich hier so glatt zu präsentieren.
      Melancholie anstelle von Depression: Guter Versuch. Wer könnte sich nicht problemlos dazu bekennen, Melancholiker zu sein? Die blaue Blume ziert jeden wahrhaft Suchenden – und unter Caspar David Friedrichs Trauerweide lässt sich’s gut dichten. Das charakteristische an einer Depression ist aber, dass man sich jeden Keim selbst erstickt, bevor er zu Blumen oder Trauerweiden anwachsen könnte.
      Es ist schrecklich anstrengend, immer aufs Neue aus dem Brunnen der Depression hoch zu kommen. Zieht man sich endlich wieder auf den Rand, ist fast die ganze Energie allein dafür draufgegangen. Wer dann mit dem letzten Rest noch Kunst macht, hat meinen Respekt. Mit “Mir geht’s schlecht!” – Klagen hat das eher weniger zu tun: Ich zum Beispiel klage selten. Meine Nöte scheinen mir im Vergleich zu vielen anderen eher klein; ich mache mich meistens über mich selbst lustig, sie überhaupt “Nöte” zu nennen. Nur – Relativieren ist ein wohlfeiles Verfahren. Wie Watte drauf packen. Das hab’ ich lange genug gemacht. Muss mir langsam mal was neues ausdenken.

  2. Come on deary snap out of it!

    Where is the Tigress who loves to maul?

    The article makes for intresting reading, it needs to be mulled over like a good whisky to be tasted on the tongue to wash the words over my brain the meaning does not sink in straight away, no it seeps slowly in. What is it that something goes and returns sporadically to drag at ones heels? If not to discuss then to talk quietly with meaning. There is a way, there is always a way and it is easier than you might try to believe Tiger..

    • @ MRP Die Tigerin hat eben manchmal sehr kalte Pfoten.
      Hätte ich die Option, einfach out of it zu snappen, ich würde von Launen sprechen, nicht von Depression.
      Gäbe es nur Launen, wir könnten alle mit Federn in den Taschen rumlaufen und jenen, die nicht lächeln, über die Backen (wahlweise vorne oder hinten) kitzeln. Und alles wäre wieder gut. Isses aber nicht. Manchmal muss man einfach weiter rein ins Dunkel: Aus manchen Labyrinthen wird man nicht vom Helikopter abgeholt.
      Dennoch – achtsame Worte machen einen Unterschied. thanks dear.

  3. Dieses unangenehme Gefühl von Gefangensein kenne ich allzu gut und würde dennoch behaupten, dass dieses, ich spreche bei mir selbst von einem zweiten Wesen, zur Profilierung der Hauptfigur beiträgt. Mich interessiert bei ähnlich Fühlenden am meisten der Zeitraum im Übergang zwischen beiden Figuren, ihre Zerbrechlichkeit, auch ihr Gleichmut, der Raum, der es überhaupt möglich macht, die ganze Bandbreite an menschlicher Schwäche und Stärke wahrzunehmen, ohne sie zu bewerten. In Deiner Beschreibung erkenne ich das Oszillierende, das mir so lieb ist.

    • @ Dazwischen Das mit dem “zweiten Wesen” ist genau richtig. Ich würde gerne noch ein drittes, ja viertes oder fünftes dazu nehmen. Eine multiple Persönlichkeit, zu der eben auch eine Facette gehören darf, die durch und durch destruktiv ist. Denn Depression ist genau das. Man ließe sie so existieren, mit den anderen zusammen, ohne sich bei ihrem Aktivwerden immer gleich in Un-ordnung zu fühlen. (Es sind ja nicht die “Anderen”, die harsch bewerten: Ein Depressiver besorgt das am gekonntesten selbst.)
      Allein die verschiedenen Spitz- und Kosenamen, die man im Laufe der Zeit erhält, lassen doch schon auf unterschiedlichste Persönlichkeitsanteile schließen. Diese in einem beheimateten “Wesen/Figuren”, die dann von anderen als Signale erkannt und benannt werden – ich komme am besten zurecht, wenn ich ihnen klare Konturen gebe. Sie mit der gleichen gedanklichen Freiheit ausschmücke, als würde ich Romanfiguren erfinden. Nur dann sind auch die Übergänge vom einen zum anderen interessant.

  4. Depressive sind auch nicht unineterssanter, nur anfangs flacherim Affekt als andere Menschen, auch kranke. Das interesstante ist zum Beispiel, dass auch ein gutes Verstaendnis der Gruende, warum man depressiv ist, alleine oft nicht ausreicht, um einen wieder ueber den Brunnenrand zu hieven.
    Betaebt ist fuer mich persoenlich zuviel – da tut noch was weh,in den Arealen, und der Schmerz kommt noch an, aber andres wird nicht mehr weitergeleitet. Der dumpfe Schmerz sorgt noch dafuer, dass man um die Existenz dieser Areale weis, sie also nicht vergessen kann, und damit bewusst bleibt, was man alles so verpasst.
    Fuer mich ist auch ganz viel leer, Stuetzen, Fuellmaterial, alles sackt einfach in sich zusammen, weil es ueberall an der Substanz zu fehlen scheint.

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