Anscheinend nicht oft genug

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Friedlich hier. Bis auf die Stubenfliege, die trotz weit geöffneter Balkontür nicht davon ablässt, um mich herumzuflitzen. Ist aber eine von den lautlosen. Draußen ein paar Vogeltiere, dazu zweidrei Nachbarn im leisen Gespräch auf ihren Hinterhöfen. Jemand sortiert Flaschen in Kästen, ein anderer säubert den Gehweg, ein Fremder, viel weiter oben, lenkt ein Flugzeug über uns hinweg. Nebenan in meiner kleinen Küche verrichtet die Spülmaschine ihr Werk: gutes Sounddesign, beruhigt mich immer. Lionel, meine Aloe, hat einen neuen Platz im Freien und reckt die stachligen Arme sonnenwärts. Jemand lässt ein Eisenteil fallen, eine Taube fliegt auf (nein, nicht meine), die Birke vor meinem Balkon schwenkt langsam ihre Äste im Luftstrom. Es gibt Tage, die ganz ohne Warntöne auskommen. Hoffentlich bleibt dieser so einer. Jedenfalls pure Magie, wenn wie gerade eben die Wolkendecke aufreißt.

Ich fühle mich wohl, wenn ich alleine bin. Aus der Entfernung höre ich gerne in einen Klangteppich hinein, ohne mich selbst akustisch bemerkbar machen zu müssen. Sprechen in Gruppen strengt mich an: mein Anspruch, nachvollziehbar sein zu wollen. In meinen Äußerungen angenommen zu werden vom Gegenüber. Seltsam, dass das im Privaten so ausgeprägt ist, während ich in meiner pädagogischen Arbeit vergnügt, auch mutwillig alle Register ziehe, sobald die Situation es hergibt. „Eigentlich spreche ich nur gern mit Fremden, wenn ich dafür bezahlt werde“ sagte ich neulich zu Tusker. So etwas darf man ja eigentlich gar nicht laut hinschreiben.
Ums Honorar geht es dabei gar nicht so sehr, sondern um die Expression. Wenn ich Workshops und Seminare halte, kenne ich meine Rolle. Sie gefällt mir, ich hab sie gewählt, mich beauftragen lassen und weiß, wie sie entlohnt wird. Das gibt mir eine Sicherheit und Selbstverständlichkeit, die ich als Privatperson in Menschenansammlungen nie habe.
Schwer zu glauben, dass sich das noch ändern wird, wenn’s nach all den Jahren immer noch so schwer ist wie als junge Frau zu Studienzeiten.

„Vielleicht arbeite ich deswegen so gerne mit Teenagern und jungen Erwachsenen“ sage ich. „Deren Befangenheiten sind mir vertraut. Die Übersprungsgesten. Dieses von einer Sekunde auf die andere aus dem Gleichgewicht fallen.“
Coccinelle lächelt. Sie hat selbst zwei Töchter auf den Weg gebracht und weiß, wovon ich spreche.
„Die Scham -“ füge ich hinzu, „wenn man als junger Mensch mit den Behauptungen, die man aufstellt, beim anderen nicht durchkommt. Der Triumph aber auch, w e n n man durchkommt…“
„Frag dich doch einmal, wenn du unter Erwachsenen bist, unter Leute gehst, was dieser oder jene Fremde für dich sein könnte“, sagt Coccinelle. „Anstatt immer besorgt zu sein, ob du es schaffst, den Ansprüchen der anderen zu genügen.“
„Ich hab das oft versucht.“
„Anscheinend nicht oft genug“, sagt Coccinelle.

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