Resümieren klingt immer seltener nach einer guten Ausgangsposition. Diese Unart, eigenes Empfinden und Wahrnehmen andauernd in Relation zu setzen! Kein Recht mehr auf Niedergeschlagenheit, während es anderen doch so viel schlechter geht, vor allem so unmittelbar. Wer traut sich denn noch, anhaltend Verlust zu artikulieren, oder Leid, wenn nebenan in der Welt tausendfach jemand vertrieben, gedemütigt, geschändet wird? Dazu die subcutane Scham, in einer dieser Besitzstandswahrungsgesellschaften zu leben, unablässig in Trance gesurrt von Bildern und Konsum.
Das Chronische kommt gegen das Akute nicht an. Niemals. Jene, die um ihr Überleben kämpfen, scheinen immer mehr im Recht zu sein als jene, die schon ein kalter Regentag depressiv machen kann, oder ein Leben als solches. Subjektiv aufgeladener Schmerz an der Welt ist moralisch nicht mehr tragbar, wirkt narzistisch. Also drückt man’s weg. Dabei hat mich Stillhalten noch nie motiviert, geschweige denn auf neue Ideen gebracht.
Langsame Reduktion auf die moralischen Grundwerte ist wie Marmelade einkochen: duftet unwiderstehlich, während es passiert. Als Belohnung hat man dann Etiketten auf Gläsern.
Marmelade hab’ ich schon immer gehasst.
Stimmengewirr im Kopf, Entfremdung. Werde ich durchscheinender? Egaler? Ich zeige anderen, wie man sich an die große Glocke hängt, helfe ihnen, sich im Spotlight nicht wegzuducken. Da bleibt nicht viel Drang, abends in die Vollen zu gehen. Menschen, die sich zu Scheinwerfern machen, bleiben selbst gerne im Dunkeln.
Höchstens mal ’ne Kerze, wenn’s schön sein soll.
So auf Antiextravaganz festgezurrt. Katalysator:innen müssen nicht kämpfen, nur sein. Sollen die Auserwählten doch den Kampf um Anerkennung im Haifischbecken austragen, die Panikattacken und ihre Narben. Darf eine dennoch trauriger werden und müder, ohne ihr Leben riskiert zu haben – oder zumindest ihre Reputation? Vielleicht ist die Sehnsucht, anderen zu helfen, doch nur Feigheit angesichts der Alternative, aus voller Kraft künstlerische Spuren zu hinterlassen: sein Unwesen zu treiben. Als Aufstand gegen die moralische Diktatur des Wesentlichen.
Berührender Text. Und ich finde, ja, eine darf “dennoch trauriger werden und müder”. Das Leben hält für jeden, der denken und fühlen kann, ausreichend Gründe dafür bereit.
@Der Dilettant Ich habe diesen Verlust von Gegenwart, wenn unmittelbares Empfinden allzuschnell in Relation zur Umgebung gesetzt wird, schon oft zu formulieren versucht.
Verhältnismäßigkeit ist zum gesellschaftlichen Fetisch geworden, auch zu meinem. D i e s e Praxis ist es, die mich müde und traurig macht – nicht das Älterwerden als solches.