Montag, 3. August 2015
LeBlanc und ich waren in Paris vor einem alten, mehrstöckigen Haus mit Garten. Der war verwildert. Das Haus vom Anfang letzten Jahrhunderts, solide gebaut, doch auf charmante Weise heruntergekommen. Die braune Farbe auf den Fensterläden blätterte seit Jahrzehnten, wie es schien, die Fassade hatte schon so viele Regengüsse und Stürme überstanden, dass nicht mehr zu erkennen war, welchen Anstrich sie ursprünglich gehabt hatte. Ich fragte mich kurz, ob ich Lust hätte, den Besitzern des Hauses meine Hilfe anzubieten; wahrscheinlich hatte es ein paar Instandsetzungsmaßnahmen nötig. Ich entschied mich aber dagegen.
Im Garten hielten sich mehrere Menschen auf, alle jünger als wir. Ein buntes Völkchen, alle freundlich und irgendwie beschäftigt. Ein Pärchen ging gerade, als ich von rechts aufs Grundstück kam, durch das schief in den Angeln hängende Gartenpförtchen raus auf die Straße. Eines dieser Jungpaare: schlaksig, das Mädchen bildhübsch, das Haar fast weißblond gefärbt und struppigkurz, bladerunnermäßig.
Ich sah ihnen nach. Ließ den Blick über die übrigen jungen Leute schweifen, die sich auf dem Grundstück aufhielten, ohne uns besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Für mich fühlte es sich vielleicht gerade deswegen an, als gehörte ich sowieso dazu.
Aus diesem Grundgefühl heraus folgte ich auch ohne nachzudenken einer jungen Frau, die als nächste den Garten verließ. Ich ging neben ihr, sprach sie aber nicht an. Wir liefen eine Weile durch die Banlieue, bis sie abbog und durch die offenstehende Tür eines Hauses trat. Ich hinterher. Wir stiegen über eine knarrende, abgetretene Holztreppe hinauf in den zweiten Stock.
In der Wohnung, die wir betraten, ohne dass uns jemand geöffnet hätte, lebte ein Geschöpf Anfang zwanzig, der ebenso Mädchen wie Junge hätte sein können.
Ich erinnere mich nicht, was er/sie zu der jungen Frau sagte; die beiden schienen sich zu kennen. Seltsam, dass ich sofort wusste, ich alleine wäre dieser Person niemals begegnet, so zurückgezogen schien sie zu leben.
Ich fand das junge Wesen wahnsinnig schön – eine Art Momo-Figur. Sie war zurückhaltend, ohne im geringsten ängstlich zu wirken und unterhielt sich leise mit der jungen Frau, die mich hergeführt hatte. Worüber, weiß ich nicht mehr. Weiß nur noch, wie fasziniert ich war, dass jemand sexuell so diffus sein konnte und dabei so anziehend. Oder gerade deswegen.
Jedenfalls dachte ich, die möchte ich unbedingt fotografieren. Das Momo-Geschöpf willigte ein, stellte sich ohne zu zögern auf eine bestimmte Stelle im Wohnzimmer.
Und hier wird der Traum sehr speziell: Ich erinnere mich deutlich an mein andächtiges Gefühl, während ich durch den Sucher sah. Wie sich das Bild des Wohnzimmers durch die Linse vor mir auftat mit dem Geschöpf in der Mitte, rechts und links gefasst von den Flügeltüren, die ins nächste Zimmer führten. Das Bildmotiv samt menschlicher Figur war perfekt symmetrisch, sogar der Teppich, auf dem er/sie stand und mich anblickte. Ein Rorschach-Moment. Die Tapete an den Wänden sepiafarben, das Licht im Raum wie Honig, niemand sagte etwas, der Zwitter stand nur da, sah mich an, meine Begleiterin war ins Nebenzimmer gegangen. Ich fühlte mich durch und durch friedlich.
Ich drückte ab.
Warum mich dieser Traum beschäftigt? Der Symmetrie wegen. Hab’ oft über sie nachgedacht in Bezug auf Beziehungen und Gefühle: wie selten sie stattfindet. Dass wahrscheinlich ein Moment der Symmetrie auch einer des Glücks ist. Wenn man sich ein paar Minuten, Sekunden vielleicht nur, einbilden kann, mit dem Außen, dem Anderen, deckungsgleich zu sein. Wie ruhig man da wird. Als wäre man angekommen.
Dann eine Geste, ein Blick, ein Wort und man wird hinauskatapultiert, ist wieder bei sich und der Differenz. Allein.
In der Traumszene kam diese Differenz nicht vor. Es schien, als wäre ich selbst das Haus, der Garten, die Personen, ja sogar das Bild, das ich in der Wohnung durch den Sucher sah. Einen Augenblick lang spürte ich eine Schönheit und Ruhe, die ich mir nicht beobachtend aneignen musste, weil sie mir bereits eigen war.