Gestern Abend moderierte ich eine Lesungsveranstaltung im Historischen Museum: Bereits zum zweiten Mal konnten wir die Texte einer Gruppe von Jugendlichen vorstellen, die sie im Rahmen des Projekts “Frankfurt life” des Kindermuseums bei mir geschrieben haben. Es sind junge Leute, wie immer ein Wurf unterschiedlichster Kulturen. Sie sind erst seit zwei Jahren im Land, als unbegleitete Flüchtlinge hier eingetroffen. Gestern Abend traten sie vor großes Publikum. Und mir, vergrippt und auch sonst nicht gerade in Bestform, oblag es, zum Gelingen dieser Mutprobe beizutragen. Was mir natürlich eine Ehre war.
Keine Mutter könnte stolzer sein als Madame, wenn sie neben “ihren” Leuten am Mikrophon steht. Jedenfalls zog mir die Freude durch die Atemröhre bis ganz hinunter in den Bauch.
Was für couragierte Gedichte und Sätze von diesem Pult aus ins Publikum gesandt wurden!
Dieses “Mit dem umgehen, was i s t”. Manchmal hat man nur begrenzte sprachliche Mittel zur Verfügung, manchmal fehlt’s an Mut, oder an Hoffnung. Manchmal ist auch einfach der Atem ganz außer und die Hand kommt nicht aus dem Zittern heraus. Doch das hindert uns nicht daran, etwas zu versuchen. Vergegenwärtigung über das Schreiben, das sich in die Augen sehen, gegenseitiges Erkennen. Humor und Zärtlichkeit. Oder ein mutwilliger Knuff im richtigen Moment. Die Veranstaltung war ein Riesenerfolg; wir standen und tranken noch, bis das Wachpersonal des Museums uns gegen neun per Lautsprecher aus dem Gebäude warf.
Ich könnte noch viel erzählen, von Blicken, Gesten, neuen Begegnungen und potentiellen Bündnissen, auch von Tränen, die geflossen sind, doch ich muss morgen nach Springe zu einer neuen Gruppe und hab’ meine Vorbereitungen noch nicht abgeschlossen.
Hai. Madame ist – aus noch anderen Gründen – sehr aufgewühlt dieser Tage. Doch das, was ich mache, die Begegnungssituationen, die ich schaffe, zu deren Intensität ich beitrage: Dieses Handeln erdet mich. Meine Schwingen, im Moment, sind am Boden ausgebreitet. Wer will, kann darunter aufatmen. Oder arbeiten. Und wer bereit ist, geht seiner Wege.
Raum geben, Raum nehmen: Ich bin mit mir im reinen.
A Propos: Für meinen >>> Workshop am 6. und 7. Dezember sind noch ein paar Plätze frei. Warum fassen Sie sich nicht ein Herz und melden sich an?
Liebe Phyllis, ich möchte Sie an dieser Stellen einmal wissen lassen, dass mich außerordentlich berührt, WELCHER Art Arbeit Sie leisten, und WIE Sie darüber schreiben. Herzliche Grüße!
Lieber Dilettant, ich habe gestern abend unter anderem über Ängste gesprochen, denen ich in solchen Gruppen begegne, auch wenn ich manche nur ertasten kann. Eine von ihnen ist jene, nicht als Persönlichkeit erkannt zu werden – weil die sprachlichen Ausdrucksmittel, die man hat, noch lange nicht ausreichen, um sich hier in Deutschland so zu zeigen, wie man wirklich ist: Von allem Leben und Überleben, das man hinter und vor sich hat, kommt bei diesen Beschränkungen oft nur ein Bächlein draußen an. Obwohl es innendrin ein Wasserfall ist.
Das kann einen fix und fertig machen. Deswege schreibe ich darüber auf diese Art und Weise. Danke für Ihren schönen Kommentar.
Herzliche Grüße
Phyllis
sehr gerne würde ch einen Ihrer freien Plätze im Workshop für mich beanspruchen, doch leider muß/will ich am Weihnachtsbazar meiner MenschInnen teilnehmen!
http://www.weggemeinschaft-vulkaneifel.de/Weggemeinschaft_Vulkaneifel_e.V._-_Startseite.html
Wie versehen das sicher, und ich hoffe auf einen Workshop im nächsten Jahr bei Ihnen! lg Sabine
Liebe Sabine, das freut mich zu lesen – und vielen Dank für den Link. Wenn ich nächste Woche vom Seminar zurück bin, werde ich mir Ihre Weggemeinschaft einmal genauer anschauen. Schjönes Wort: Weggemeinschaft.
LG: Phyllis
Aufgewühlt sein, ja, das ist mir grad auch zu eigen. Friedrich Nietzsche sagte mal “Still ist der Grund meines Meeres” – spüren tut man das nicht immer, beileibe nicht!
Irgendwo, ganz unten, ist immer die Stille: Doch wer will da schon hin? Ins Unbewegte? Den Schluss zog ich noch nie: Dass die Stille nach innerem Aufruhr Erlösung sei könnte. “Über etwas hinweg sein”, den Verlust nicht mehr spüren, sogfrei sein, sozusagen, das ist mir die unheimlichste Vorstellung von allen.
Nietzsche hat womöglich gemeint, daß aus der Stille letztlich die Kraft kommt für all die Leidenschaft, die bestimmte Menschen haben – und andere wiederum eher nicht: http://nwschlinkert.de/2014/10/16/leidenschaft/
Ich fand auch schon als Kind diese Märchenenden fürchterlich: “Und dann lebten sie bis an ihr Lebensende glücklich und zufrieden” – da schüttelt’s einen doch!