Die Idee zu dieser Rubrik ist die Variante eines vor einigen Jahren veranstalteten Wettbewerbs der Stiftung Lesen, doch das spielt keine Rolle: wollte man nur noch tun, was nie zuvor getan wurde, man käme aus dem Nichtstun gar nicht mehr heraus. (Außerdem kann man für gute Bücher gar nicht genug werben.)
Der erste Satz, so die Behauptung, ist der Haken, mit dem man sich den Leser krallt.
Der magische Haken.
Überprüfen Sie das doch mal…
Nehmen Sie Ihr Lieblingsbuch oder Ihre aktuelle Lektüre zur Hand und schauen Sie, ob schon der erste Satz Sie in Bann zieht… und dann bitte schicken! Wenn Sie Muße haben, schreiben Sie noch ein paar Sätze dazu, warum das so ist. Sie könnten auch eigene Produktionen vorstellen, wir sind nicht bei der Klassensprecherwahl: Erste Sätze aus Ihren eigenen Romanen sind willkommen : )
Die Rubrik wird weiter wachsen. Ihre einzige Ordnung besteht aus der zeitlichen Reihenfolge, die sich aus der Sendung Ihrer Beiträge ergibt; man kann und soll in ihr stöbern, zur Recherche ist sie ungeeignet. (Es hilft allerdings, wenn Sie Datum und Verlag der Erstpublikation mit dazu schreiben)
Wenn kein Einsender zum Zitat genannt ist, stammen die Beiträge von mir, bzw aus Romanen meiner eigenen Bibliothek.
Content “Erste Sätze” (nach Reihenfolge der Einsendungen):
1.] John Cowper Powys / A Glastonbury Romance
2.] F. Scott Fitzgerald / The Great Gatsby
3.] James Joyce / Finnegans Wake
4.] Anthony Burgess / Earthly Powers
5.] William Gibson / Neuromancer
6.] Ricarda Junge / Eine schöne Geschichte
7.] Djuna Barnes / Nachtgewächs
8.] Jonathan Franzen / Freedom
9.] Nick Cave / Und die Eselin sah den Engel
10.] Sören Kierkegaard alias Constantin Constantius / Die Wiederholung
11.] Günter Grass / Die Blechtrommel
12.] Flann O’Brien / Der dritte Polizist
13.] Alban Nikolai Herbst / Der Arndt-Komplex
14.] Halldór Laxness / Das gute Fräulein
15.] Kazua Ishiguro / Die Ungetrösteten
16.] Valeria Narbikova / Wettlauf.Lauf.
17.] Péter Esterházy / Harmonia Caelestis
18.] Angela Hornbogen – Merkl / Hannelore Bahl oder Der Eselsfurz
19.] Janet Frame / towards another summer
20.] Alice Munro / Die Liebe einer Frau
21.] Sylvia Plath / The Bell Jar
22.] Christine Lavant / Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus
23.] Samuel Beckett / Murphy
24.] Arthur Adamov / Ende August
25.] Aldous Huxley / Das Genie und die Göttin
26.] Hermann Broch / Der Tod des Vergil
27.] Wolf v. Niebelschütz / Die Kinder der Finsternis
28.] Vladimir Nabobov / Ada oder Das Verlangen
29.] Marcel Proust / A la Recherche du Temps Perdu
30.] David Foster Wallace / Infinite Jest
31.] Unica Zürn / Der Mann im Jasmin
32.] Michel Leiris / Die Spielregel, Band 1: Streichungen
33.] Stig Larsson / Die Autisten
34.] Chimamanda Ngozi Adichie / Purple Hibiscus
35.] Julio Cortazár / Rayuela
36.] Zeruya Shalev / Liebesleben
37.] Foster Wallace / Infinite Jest
38.] Richard Powers /Schattenflucht
39.] Peter H. Gogolin / Calvinos Hotel
40.] Rolf Lappert / Nach Hause schwimmen
41.] Albert Camus / L’étranger
42.] Heimito von Doderer / Die Merowinger oder Die totale Familie
43.] Pascal Mercier / Perlmanns Schweigen
44.] David Foster Wallace / The Pale King. An Unfinished Novel
45.] Wilhelm Genazino / Abschaffel
46.] Jaimy Gordon / Lord of misrule
47.] Virginia Woolf / The years
48.] Thomas Bernhard / Holzfällen
49.] Thomas Bernhard / Meine Preise
50.] Yasmina Reza / Une désolation
51.] Ayn Rand / The Fountainhead
52.] Gregory David Roberts / Shantaram
53.] Arno Geiger / Der alte König in seinem Exil
54.] Yasmina Reza / Adam Haberberg
55.] Dieter Forte / Auf der anderen Seite der Welt
56.] Alberto Moravia / Desideria
57.] Herzmanovsky-Orlando / Maskenspiel der Genien
58.] William Vollman / The Royal Family
59.] Theodor Mommsen / Römische Geschichte
60.] Sibylle Lewitscharoff / Blumenberg
61.] Alban Nikolai Herbst / Meere
62.] Aldous Huxley / The genius and the goddess
63.] Herman Melville / Moby Dick or The Whale
64.] Monika Helfer / Bevor ich schlafen kann
65.] Franz Kafka / Der Prozess
66.] Tim Parks / Dreams of Rivers & Seas
67.] Charles Dickens / Oliver Twist
68.] Tom Rachman / The Imperfectionists
69.] Anna Katharina Hahn / Kürzere Tage
70.] Phyllis Kiehl / Fettberg
71.] Gerbrand Bakker / Oben ist es still
72.] Gerbrand Bakker / Der Umweg
73.] Anna Katharina Hahn / Am Schwarzen Berg
74.] Jonathan Franzen / The Corrections
75.] Cees Nooteboom / Mokusei!
76.] Iwan A. Gontscharow / Oblomow
77.] Peter Nádas / Parallelgeschichten
78.] Franz Kafka / Das Schloß
79.] Christopher Ecker / Fahlmann
80.] Alban Nikolai Herbst / Argo. Anderswelt
Ihr Wunsch ist mir Anregung genug, mein Bücherregal wieder einmal zu durchforsten. Fündig geworden bin ich heute aber nicht, auch nicht bezüglich des bestehenden Ungleichgewichts von “männlichen” und “weiblichen” Romananfängen, wenngleich letztere sehr schnell durchgelesen waren. Ich habe nämlich so gut wie keine Bücher von Frauen, weil ich meine Lektüre nicht nach dem Geschlecht des Autors aussuche. (Hoffentlich gibt das nicht wieder so eine unfreundliche Diskussion. Ich befürchte das Schlimmste! Hätte ich mal bloß nichts gesagt.)
… ich auch nicht. Dennoch ist das Missverhältnis auffällig, und während ich die Leser:innenbeiträge für die Rubrik formatierte, fragte ich mich, woran das wohl liegen könnte.
Ich beispielsweise habe ziemlich viele Bücher von Frauen im Regal
(nicht zu verwechseln mit “Frauenbüchern”… ; )
die ich nach und nach auf magische Haken überprüfen werde…
Kazua Ishiguro, Die Ungetrösteten (The Unconsoled).
“Dem Taxifahrer war es offensichtlich peinlich, daß niemand – nicht einmal ein Angestellter an der Rezeption – anwesend war, um mich willkommen zu heißen.”
[Im Original erschienen 1995 und in Isabell Lorenz’ hinreißender deutscher Übersetzung 1996, ist dieser Roman wahrscheinlich einer der bedeutendsten Werke der phantastischen Weltliteratur seit Bulgakovs “Der Meister und Margarita”, bzw. Miodrag BulatoviÄs “Die Daumenlosen”. Daß der erzählte Umstand dem Taxifahrer peinlich ist, zumal offensichtlich, stellt schon dem ganzen Buch die Weichen. Dieser erste Satz erfüllt jeglichen auch ästhetisch-konstruierenden Zweck eines Ersten Satzes.]
Danke, wurde der Sammlung soeben hinzugefügt!
Valeria Narbikova “Wettlauf.Lauf.” Suhrkamp, 1994, deutsch von Annelore Nitschke. “Zuerst muss man den Führerschein haben und dann fahren lernen, zuerst muß man heiraten und sich dann verlieben, zuerst muß man den Kommunismus aufbauen und dann dem Volk zu essen geben, dazu muß man erst die Schule hinter sich haben und dann in die Hochschule eintreten.”
@elke66 Dieser Satz macht mich geradezu unmittelbar aggressiv; so etwas passiert mir selten. Werde bei Gelegenheit mal in diesen Roman hineinlesen, einfach um zu sehen, ob sich das fortsetzt.
was mich wiederum neugierig macht. was daran macht Sie Ihres Erachtens nach aggressiv und warum?
An dem Satz ist doch nichts aggressives, es ist ein Beispiel dafür was die russische Literatur kann und die Deutsche nicht. Die Deutsche ist ja so schrecklich ernst, da darf man keine Worte in die Luft werfen ohne dass man im mindesten einen Grund dafür sieht und selbst dann muss noch darüber diskutiert werden.
Das Sppielerische fällt den Deutschen naturgemäß set 1933. Mit diesem Jahr endete die Leichtigkeit.
Vorher gab es Autoren wie E.T.A. Hoffmann durch den viele Russen inspiriert wurden, heute wird kein Russe mehr durch einen Deutschen inspiriert.
Ja, die sprachliche Leichtigkeit ist nach wie vor verloren, bzw. sie wird nicht recht gewürdigt oder sogar verunglimpft, wenn sie auftritt. Den Narbikova-Satz finde ich indes auch aggressiv, und ich denke, er ist auch so gemeint.
Sie kennen das Buch eben nicht und deshalb sage ich Ihnen, Agression ist so überhaupt kein Thema in diesem Buch
Trotzdem kann das Buch doch mit einem aggressiven Satz beginnen. Ich sehe da keinen Widerspruch. (Wahrscheinlich ist es das viele Müssen, das behagt mir nicht.)
Dann erklären Sie mir bitte was an dem Anfang aggressiv ist, sie versuchen sich einfach nur herumzuwinden, fürchte ich, weil sie dass nun einmal gesagt haben und vielleicht bald merken dass es ein blödsinn ist..
“Zuerst muss man den Führerschein haben und dann fahren lernen, zuerst muß man heiraten und sich dann verlieben, zuerst muß man den Kommunismus aufbauen und dann dem Volk zu essen geben, dazu muß man erst die Schule hinter sich haben und dann in die Hochschule eintreten.”
wenn dies nämlich aggresiv ist, dann ist jeder Romananfang aggressiv.
Der ist nicht aggresiv, aber vielleicht sind sie es oder ich
Vielleicht haben Sie auch ganz einfach keine eigene Meinung, kann dass sein? Denn warum kommen sie den erst jetzt drauf, dass das aggressiv ist, der Text steht da schon ein paar Tage
Regen Sie sich bitte nicht auf, ich habe nur ganz nebenbei meinen Eindruck diesen Satz betreffend widergegeben, und der ist wie er ist: jemand beschwert sich über den Lauf der Dinge, über Regeln oder Normen oder Erwartungen, die nicht leicht zu ändern sind. Lesen Sie den Satz mal laut, dann ist das offensichtlich, finde ich. In dem Roman scheinen also naturgemäß Kräfte zu wirken, und selbst wenn ich den ersten Satz eines Romans mißverstehe, was ja durchaus sein kann, dann ist das nicht unbedingt dem Lesevergnügen abträglich. Ein erster Satz kann Leseerwartungen auch unterlaufen. Außerdem liest jeder Leser seinen eigenen Text, da gibt es kein Richtig oder Falsch.
Sie reden, mit Verlaub Blödsinn, sie mögen ja ihre meinung haben, aber sie können doch nicht über einen Roman reden den sie gar nicht kennen.
Wenn ich will kann ich jeden Romananfang der hier steht so lesen dass er aggressiv klingt, dann ist jeder Romananfang aggressiv, sie haben ja nicht ein einziges mal geschrieben, wo der Text aggresiv ist, der Text ist einfach sehr spielerisch.
@Karl, Franz Ich empfinde diesen Satz wie ich ihn empfinde, das läßt sich durch Diskutieren nicht ändern. Immerhin löst er was aus, das ist gut für einen ersten Satz. Denken Sie an “Ich bin nicht Stiller.” Über den Roman spreche ich nicht, den kenne ich nicht. Und natürlich kann man jeden Romananfang lesen, wie es einem beliebt, sogar mit Absicht “falsch”, und dann wird man schon sehen, wie es weitergeht im Text. Am interessantesten ist es, finde ich, nach dem Lesen des letzten Satzes den ersten noch mal zu lesen.
Aber das ist doch gar nicht ihre Meinung gewesen, vorher hatte die Betreiberin dieses Blogs das geäußert und sie wollen mir erzählen, dass sie es auch so empfinden, das klingt schon komisch, warum (frage ich nochmal) haben sie dass nicht schon gestern geschrieben?
Ich weiß schon, man ist jagernekonform mit Leuten die man leiden mag, man widerspricht auch nicht usw, aber dass hier ist schon ein bißchen arg billig, mit einem Wort, ich glaube ihnen kein Wort
Schaun Sie mal, jetzt mache ich einen – Punkt.
@ Karl & Franz Erstens. Niemand ist hier auf TT dazu verdonnert, immer entweder unmittelbar zu reagieren oder gar nicht.
Zweitens. Wenn ein Kommentator mal eine Empfindung teilt, die ich äußere, ist er noch lange nicht billig: wo kämen wir denn da hin?
Drittens. Niemand von Ihnen hat es nötig, mir um den Bart zu gehen. Vor allem, da da keiner ist.
Fünftens. Sie, Karlfranz, klingen weit aufgedrehter, als dem Anlass angemessen ist. Kommen Sie mal wieder runter.
ich hätte wohl aggressiver fragen müssen, um eine antwort zu bekommen…
@elke66 Sorry, manchmal überholen mich die Ereignisse! Ich glaube, allein die Kombination von “man” und “müssen” macht schon zwei Fässer auf, gegen die ich immer unwillkürlich trete. Nein, auch willkürlich!
Doch das hat natürlich rein gar nichts mit dem Roman zu tun. Es ist nur dieser eine Satz. Da ich aber annehme, dass es Anderen da ähnlich geht, und die Autorin das sicher auch weiß, vermute ich, die in ihrem ersten Satz schwingende Aggression ist gewollt.
Ohne aggressiv oder sonstwie wirken zu wollen: das sehe ich genau so wie Frau Phyllis. Ich weiß allerdings nicht, warum deswegen so ein Gedöns gemacht wird, ist ja fast, als ginge es um Wichtigeres.
Das hätte mich auch gewundert, wenn Sie das anders gesehen hätten, als Frau Phyllis.
In diesem Fall: Mich auch.
Ich kenne nicht einen Mensche auf diesen Planeten, der im Zusammenhang mit den Texten von Frau Narbikova auf Agression kommt.
Dass Sie sich einmal irren, das kann womöglich nicht sein.
Nun, dass ganze sieht dch schon sehr nach, wie heißt nur dieses Wort, aus.
Wegen eines gleichsam irrtümlich emotional “falsch” verstandenen ersten Satzes ein Buch weiterzulesen, muß nicht der schlechteste Einstieg in einen Roman sein. Wenn dieser dann aber konfliktfrei ist, das, finde ich, suggerieren all die Verteidiger der Frau Narbikova, was ist dann der Inhalt, der Gehalt des Romans? Das interessiert mich jetzt aber wirklich!
@Ulf Lesen Sie genauer: ich sprach von einem einzigen Satz, nicht von “Texten”. Auch finde ich Ihre Bemerkungen, tja, wie soll ich’s sagen?
@Norbert W. Schlinkert Mir schleierhaft, warum überhaupt jemand glaubt, die Autorin verteidigen zu müssen; sie wurde nicht angegriffen. Es war von Eindrücken die Rede, die ihr erster Satz auslöste. Ich beschrieb einen höchst subjektiven.
Darum get’s doch in dieser Rubrik. Wenn dabei nur jene mitreden dürften, die das entsprechende Buch auch gelesen, verstanden und angemessen analysiert haben, ginge jegliche Spontanität flöten. Wir sind nicht im Seminar.
@Phyllis Eben: die Autorin wurde nicht angegriffen, sie wurde zitiert mit dem ersten Satz eines ihrer Romane. Ich denke, wir haben hier ein schönes Beispiel dafür, wie Glaubenskriege im Kleinen beginnen. Es bleibt mir trotzdem ein Rätsel, warum manche Menschen so empfindlich darauf reagieren, wenn andere das von ihnen Geliebte nicht genau so lieben wie sie selbst. In der Schule, ich war so ungefähr 15, habe ich mal gesagt, ich fände eine bestimmte Band nicht gut, worauf mir eine Mitschülerin ohne Vorwarnung eine geknallt hat. Ich hoffe, sie hat sich seit damals weiterentwickelt.
Lügen Es ist elend schwer zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt.
P. Esterhazy, Harmonia Caelestis
(Zu lesen incl aller Folgen des Romans)
@In Chickeria Wird gemacht! Das ist ein toller erster Satz.
“Neben Rosas riesigem Bauch verblasstenschrumpften die Hügel zu Kleinigkeiten zusammen.” (aus: Hannelore Bahl oder Der Eselsfurz ISBN 978-3-942637-03-9 erschienen Oktober/November 2010 im Kleinen Buchverlag, Autorin: Angela Hornbogen – Merkl)
Ich danke anh für seine Aufmerksamkeit. SELBSTVERSTÄNDLICH steht der Satz in der oben editierten Version im Buche.
:o)
@Schreiben wie atmen. “zu Kleinigkeiten verblassen” ist aber kein gutes Bild, weil Kleinigkeiten weder von Farbe noch von Kontrasten bestimmt sind, sondern eben von Kategorien der Größe. Daneben stellt sich mir hier die Frage, was denn mit Hügeln gemeint sei; sogar eine möglicherweise höchst unfreiwillige Komik stellt sich da ein, wenn ich das lese.
Es erfreut mich, dass Sie das bemerkt haben!
@schreiben wie atmen … Hügel zu “Nichtigkeiten” … ?
(Ich liebe es, an Sätzen zu feilen… freu’ mich immer, wenn so etwas in Gang kommt, leider viel zu selten : )
Ja, ich hatte auch schon im Nachhinein an “Nichts” gedacht. Aber ich fürchte, meine Verlegerin wird für eine solchen Überlegung zumindest für die existierende erste Auflage kaum noch zugänglich sein.
🙁
Nachtrag: “Rudimenten” war statt Kleinigkeiten auch schon in der Beratungsschleife gewesen – das hätte fein alliteriert mit “Rosas riesigem Bauch”. Aber na ja – jetzt ist’s eben so.
Beim nächsten Buch wird alles besser ; )
Sowieso :o)
Frauenliebe “When she came to this country her body had stopped growing, her bones had accepted enough Antipodean deposit to last until her death, her hair that once had flamed ginger in the southern sun was fading and dust-coloured in the new hemisphere, and she was thirty, unmarried except for a few adulterous month with an American writer (self-styled) who woke in the morning, said –
I write best on an empty stomach, –
pulled a small piece of paper from his tweed coat hanging on the end of the double bed, and wrote one line.”
toward another summer, Janet Frame
“Die Ihr gleich goldnen Blumen auf zertretnem Feld wieder aufsprosset zuerst!”
Die Günderode, Bettina von Arnim
“Seit zwei Jahrzehnten gibt es in Walley ein Museum, das alle möglichen Dinge aufbewahrt, von Fotos und Butterfässern und Pferdegeschirren bis hin zu einem alten Zahnarztstuhl, einem unhandlichen Apfelschäler und solchen hübschen kleinen Isolatoren aus Porzellan und Glas, die einst auf Telegrafenmasten Dienst taten.”
Die Liebe einer Frau, Alice Munro
In meinem Regal finden sich, glaube ich (gezählt habe ich nie), mehr Bücher von Frauen als von Männern. (Nur als Kontrast zu Herrn Schlinkert)
Wunderbare Sätze, danke Ihnen allen, werde sie morgen säuberlich und einzeln präsentieren.
Wg. Kontrast: Ich war ja selbst ein wenig überrascht wegen des momentanen “Ungleichgewichts” in meiner Bibliothek. Vielleicht liegt es daran, daß ich die letzten Jahre viel aus dem 18. Jahrhundert gelesen habe, wohingegen ich Zeitgenossen gelegentlich mal eine Weile meide. Apropos – da war doch was! Ja, ich such’s schnell raus. Ein Anfang (wie er geschrieben steht):
“Seit vier Wochen war ich in Genua. Hier erst verschwand der Unmuth, der wie ein Nebel die schönen Erscheinungen der Geister und Sinnenwelt für mich bis jetzt verschleiert hatte. Ich war in meiner Heimath glüklich gewesen, und hatte mich mit genügsamer Empfänglichkeit innigst an die stillen Freuden eines eingeschränkten Wirkungskreises, wo unsre Kräfte nur g e ü b t, nicht angespannt werden, gewöhnt. Ohne beim Genuß sehr lebhaft ihren Reiz zu fühlen, thut uns ihre Entbehrung doppelt weh. Mein Vater wünschte mich vor Einseitigkeit gesichert zu wissen, er wollte meine Kenntnisse vervielfältigen, meine Begriffe berichtigen, und meiner Urtheilskraft eine freiere und festere Richtung geben.”
Sophie Mereau-Brentano: Das Blüthenalter der Empfindung. 1794 in Gotha zunächst anonym erschienen; sie maskierte damit aber nur ihre persönliche Identität, nicht ihr Geschlecht, denn die Vorbemerkung ist mit ‘Die Verfasserinn’ gezeichnet.
Das Spannende an diesem recht kurzen Roman ist unter anderem, daß Sophie Mereau in der Ich-Form schreibt, allerdings nicht aus weiblicher Perspektive, sondern aus der Sicht eines Mannes, Albert, der zu Beginn der Handlung ein naiver Schwärmer ist und sich in Nanette verliebt; die aber ist bereits eine reife Persönlichkeit, trägt Verantwortung und steht im Leben. Friedrich Schlegel, der 1799 seinen ähnlich angelegten Roman ‘Lucinde’ veröffentlicht, macht sich ein wenig lustig über den Roman, auch weil er ob des Beginns dachte, dort spräche ein Mädchen, obgleich es ein Junge sein sollte.
@MelusineB, Frauenliebe Danke. Die Schriftstellerinnen holen langsam auf. Und was für welche!
Und vergessen Sie (bloß) nicht, den Roman-Anfang der Mereau hineinzustellen, “Das Blüthenalter der Empfindung”. Die Frau hat es sich verdient, glauben Sie mir!!! (Ich überlege die ganze Zeit, wie ich das netter formulieren kann, denn Müssen müssen müssen Sie natürlich nicht, aber Können können könnten Sie schon.)
“electrocuted”, es blitzt immer wieder auf, dieses Wort:
It was a queer, sultry summer, the summer they electrocuted the Rosenbergs, and I didn’t know what I was doing in New York. I’m stupid about executions. The idea of being electrocuted makes me sick, and that’s all there was to read about in the papers – goggle-eyed headlines staring up at me on every street corner and at the fusty, peanut-smelling mouth of every subway.
Sylvia Plath, The Bell Jar (wie in den gedichten, immer wieder distanziert und präzis)
“Ich bin auf Abteilung “Zwei”. Das ist die Beobachtungsstation für die “Leichteren”, und man kommt eigentlich von Rechts wegen nur hinein, wenn man “Drei” schon hinter sich hat. Ich habe “Drei” noch nicht hinter mir, und das nehmen mir die meiste übel”
Christine Lavant “Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus” Otto Müller Verlag
@parallalie Sie mogeln: das sind drei Sätze… doch jetzt ist’s zu spät, ich will auf keinen der drei mehr verzichten.
@sturznest Musste eben an Rainald Goetz’ “Irre” denken, der fängt so an: “Ich erkannte nichts wieder.”
tschuldigung: mir gefiel zu sehr das “goggle-eyed”. sie können aber gern die andern beiden sätze fortlassen.
»Die Sonne schien, da sie keine andere Wahl hatte, auf nichts Neues.«
(Samuel Becket, “Murphy”)
An der Stelle hab ich aufgehört weiterzulesen, und von Becket übrigens seither keine weitere Zeile mehr gelesen. Einer der verzichtbarsten Sätze der Weltliteratur. Wenn der erste Satz eines Romans der Köder sein soll, mit dem er den Leser in seinen Bann zieht, und dem Autor dazu kein besserer einfällt, dann bin ich auf den ganzen Rest vom Text auch nix mehr neugierig. Danke, Herr Becket, das genügt.
aber trotzdem können Sie ihm doch das zweite “t” in seinem Namen gönnen. Beckett heißt der Mann.
Da bin ich zwar dezidiert anderer Ansicht, denn ich habe, bis auf wenige Sätze, alles von Samuel Beckett gelesen. Über das, was man gerne liest, kann man ohnehin nicht streiten, weil es immer ein persönliches Verhältnis – oder Nichtverhältnis (?) – von Leser und Text gibt. Doch immerhin scheinen Sie wütend auf Beckett zu sein und ihm zugleich zuzugestehen, Weltliteratur geschaffen zu haben. Und das alles nach einem einzigen Satz!!!
Wüten statt Warten! ; )
Ach was, dann weiß man wenigstens nicht von wem er spricht, er selber wahrscheinlich auch nicht, er oder sie, was spielt dass denn für eine Rolle.
Hubert Winkels schreibt mich mit doppel o, das ist verzeihlich, aber Samuel Beckett ein t rauben, dann müsste dieses Blog ab sofort ainted alents heißen, mindestens.
Daß hier x der Name Hubert Winkels, wenn auch pejorativ, genannt wird, damit hätte ich nie gerechnet. TT ist immer wieder für Überraschungen gut! Allerdings finde ich Namensfehlschreibungen generell nicht verzeihlich, egal von wem und selbst wenn Sowieso Sowiesoo geschrieben wird.
Wieso pejorativ? Au contraire.
Ja, wieso? Wahrscheinlich bin ich voreingenommen, weil ich den Schwachsinn, der nicht selten in den Büchermarkt-Sendungen im DLF vorgetragen wird, kaum ertragen kann – obwohl es da noch einen Dicken gibt, dieser Bücherwegschmeißer, der ist noch schlimmer. Ansonsten nichts für ungut, die Leute geben ja ihr Bestes.
Winkels muss man zu ewigem Dank verpflichtet sein, denn er hat endlich mal gegen Burkhard Spinnens allgegenwärtige bauchladenmäßig ausgestellte Mittelmäßigkeit in Buchform gewettert und ist zudem einem der wichtigsten Lyriker immer zur Seite gestanden. Das reicht mir schon, um den Mann für ganz und gar nicht verkehrt zu halten, dass der sich dennoch auch mal irrt, das stört mich nicht, so lange der Grundkurs stimmt.
Ich hab ja nix gegen den Mann, ich finde nur die Sendung “Büchermarkt” bescheiden. Das ist einfach keine gute Literatursendung, sondern oft (nicht immer!) eine Dauerwerbesendung für ohne schon gehypte Bücher – sie heißt ja treffsicher auch Büchermarkt. Würden Deutschlandfunk und Deutschlandradio die Literatur in ihrer Breite nur halb so ernst nehmen wie Information und Musik, würde sicher auch Herr Winkels zu Höchstleistungen auflaufen, hoffe ich wenigstens. Der Dicke aus der gleichen Sendung würde sicher auch auflaufen.
“Ich werde endlich doch bald ganz tot sein.” (Beckett: Malone stirbt) – autoren sind aber keine PR-menschen, werter nömix. und ich zweifle, daß sie ködern wollen. wenn schon, dann eher sich selbst und die worte, die in ihnen sind. es ist immer die preisgabe. also, da geht’s mir ähnlich, wie herrn Schlinkert, der auch fast alles von dem herrn Beckett gelesen hat. zunächst dachte ich ja, daß der satz “An der Stelle habe ich aufgehört weiterzulesen” sich auf meine lektüre des ‘Namenlosen’ bezog, wo ich auch immer nicht weiterlesen konnte, mich von satz zu satz hangelnd und immer fürchtend, der nächste habe schon wieder etwas mit mir zu tun. wahrscheinlich war das gar nicht seine, Becketts, absicht. oder vielleicht doch. andererseits gebe ich zu, seit vierzig jahren die ‘Blechtrommel’ zu besitzen, nie aber in der lage gewesen zu sein, über den anfang hinauszukommen, seit ich es damals das einzige mal versucht. wie kommt das? “Wo nun? Wann nun? Wer nun? Ohne es mich zu fragen.” (Beckett: Der Namenlose).
Ich habe Herrn Beckett versehentlich falsch geschrieben, das war ein Flüchtigkeitsfehler. Einem deswegen zu unterstellen, dass er “nicht weiß von wem er spricht”, ist haltlos. Dass Beckett zur Weltliteratur zählt, ist nicht meine Idee, sondern allgemein anerkannter Konsens. Ich habe keineswegs aufgrund “eines einzigen Satzes” eine Beurteilung über Becketts Werk gefällt, sondern lediglich NACH diesem Satz nichts WEITERES mehr von ihm gelesen – wie oben dargestellt. Das Bild mit dem Köder stammt nicht von mir, sondern nimmt Bezug auf den Satz vom magischen Haken im Ausgangsposting.
Lassen sie die Grastrommel liegen, ich lese auch, ich glaube zum vierten mal “Watt”.
Ich hab gesiezt, ohne dass ich es merkte, das ist seltsam, dabei sieze ich doch in meinem sogenannten Leben, höchstens meine Nachbarin
@Nömix: Ihr Text hört sich ein wenig nach Pressemitteilung oder gar nach einer Gegendarstellung an. Doch mit ein wenig wohlwollender Polemik sollten Sie schon rechnen, wenn Sie Ihrerseits etwas raushauen, etwa, daß dieser spezielle erste Satz einer der verzichtbarsten Sätze der Weltliteratur sei. Durch Schweigen zustimmen tut hier keiner.
Aber nein, bin durchaus streitlustig und einer, der (auch in meinem eigenen Weblog) selber gern polemische Watschen austeilt. Und sich gelegentlich welche einfängt. Beharre aber auf meinem ursprünglichen Standpunkt: Wenn Sie das Interesse des Lesers für Ihren Roman fesseln wollen, dann beginnen Sie ihn grundsätzlich nicht mit dem Satz »Die Sonne schien«. Auch nicht, wenn Sie Samuel Beckett heißen. Schwerer Anfängerfehler.
Die Sonne bleibt wo sie ist, wo sie hingehört, und eben dies versucht auch Murphy – er will in seinem Teakholz-Schaukelstuhl sitzenbleiben, mit sieben Schals ist er an ihn gefesselt, weil er sich dort hingehörig fühlt, weil es ihm Spaß macht. Das Zur-Ruhe-Kommen gelingt ihm aber nicht wirklich, er ist nicht so vollkommen wie die Sonne, er scheitert. Davon handelt der Roman, dementsprechend muß er so beginnen. Ob der Anfang den Leser fesselt, sei dahingestellt, ein Weiterleser muß da aber durch, hilft alles nix.
“Weil, sagt Veronika, Reue sinnlos ist, wenn die Dinge nicht anders hätten sein können. Deswegen.” Monika Rinck, Ah, das Love-Ding!
Monika rInck, ist auch das typische Beispiel für die allseits beliebige langeweile im deutschen Literaturbetrieb, er dreht und dreht sich und er dreht sich nur um sich selber, wenn Du da einmal drin bist, bekommst du einen Bandwurm
Es geht mir nicht um einzelne Schriftsteller, denn ob man deren Werk nun mag oder nicht, ist letztlich Geschmacksache, dem Bauchgefühl geschuldet, von thematischen Setzungen abhängig und so weiter. Doch wer von seiner Literatur leben will, der gerät nunmal hinein in den Betrieb, und dieser ist, denke ich, zu abhängig einerseits von den großen Verlagen und Konzernen, andererseits von einzelnen Kritikern, die sich die Bälle immer wieder nach eigenen Regeln zuspielen und damit die Deutungshoheit gewinnen. Zum Glück gibt es inzwischen aber auch andere Spielfelder bzw. Vertriebswege, etwa “Tubuk. Nicht jedes Buch” http://tubuk.com/ , wo sich andere Strukturen finden lassen und manchmal auch andere Literatur. Also bitte kein Literatenbashing, ganz gleich, ob diese im Betrieb (den man bashen m u s s, finde ich) gehandelt werden oder nicht!
Man könnte es auch eine Meinungsäußerung nennen und dass der Literaturbetrieb verkackt ist, das ist keine Geschmacksfrage, da muss ich den (dem)Klaus recht geben, wobei ich nicht meine das Frau Rinck nun schlecht schriebe, oh nein, sie versteht ihr Handwerk, unbedingt, aber langweilig ist das trotzdem.
Wer die Suche nach der verlorenen Zeit als Bauchnabelschau betrachtet, hat auch nicht unrecht damit und ich kann nur sagen, worum man sich dreht, ist für Literatur just egal, die Frage ist immer noch, wie man sich dreht und was man dabei in der Lage ist mit hinein zu strudeln. Und womit Sie sich langweilen sagt über die Qualität von Literatur wenig aus.
Literatenbashing? Man darf tatsächlich sagen und heuer auch wieder in Ägypten und seit Wikileaks eh, was man für verkehrt oder überbewertet hält, davon fällt keiner tot vom Stuhl, denn, wir sind hier nicht in Puntilaland, wo aufgebrachte Advokaten in diplomatischen Verbiegungen umherlaufen müssen und ausrufen: Erst wenn ein Name fällt, ist s ein Skandal, nein, ist es noch lange nicht, Schützenfeste sind per se völlig skandalbefreit.
Ich bin heute nicht in der Laune, aus Mitleid Toleranz zu üben. Wer sich hinter einem Pseudonym versteckt, der kann und darf selbstverständlich durchaus gut begründet Kritik üben, nicht aber auf Stammtischniveau Künstler verunglimpfen. Das hat nichts mit freier Meinungsäußerung zu tun, das ist einfach feige. Punkt. Ende der Durchsage.
Als wenn man nicht wüsste, welch Hybris, das Haus Cromwell spricht, entschuldigung, wenn ich lache: “Ende der Durchsage”, wo bitte sind wir denn hier gelandet.
Jedenfalls nicht am Stammtisch für anonyme Verunglimpfer. Punkt. Ende der Durchsage.
Roger, und, psst, petzen hilft.
Arthur Adamov: Ende August (Fin août, in: «Je… ils…», Paris, 1969) «Das Licht blendete, die Cafés ergossen sich bis auf die stickige Straße.»
Die meines Wissens nach wie vor einzige deutsche Übersetzung dieser großartigen kleinen Erzählung voll von mit sanfter, aber nie verräterisch abgewandter Ironie beflügelter Leichtigkeit, Lakonie und Abgrund fand ich vor ca. 20 Jahren als dank alfabetischer Ordnung ersten Beitrag in der Matthes&Seitz-Anthologie «Ich gestatte mir die Revolte». Der Rest von Adamovs meines Wissens nach letztem Buch ist nie auf deutsch erschienen. Ich warte noch immer darauf.
aber ich sehe da gerade gar nix in deutsch, so eine gemeinheit
(oh doch, ich hab es nur falsch geschrieben)
Ich habe ebenfalls weniger Bücher von Frauen im Regal als von Männern. Einen Romananfang, der mir zu denken gab, habe ich allerdings auch:
“Das Fatale an Romanen”, sagte John Rivers, “ist, daß sie zuviel Sinn ergeben. Die Wirklichkeit ergibt nie einen Sinn.”
Aus Aldous Huxley: Das Genie und die Göttin.
@SHHHHH. Schöner Satz. Überhaupt: Huxley. Überschattet vom Erfolg der Brave New World ist er als Romancier skandalös unterschätzt. Grandios etwa ist der Roman “Kontrapunkt des Lebens” (Point Counter Point) – nur gibt da der erste Satz nicht viel her: “Nicht wahr, du wirst nicht zu spät kommen?”
Hermann Broch / Der Tod des Vergil
Stahlblau und leicht, bewegt von einem leisen, kaum merklichen Gegenwind, waren die Wellen des adriatisches Meeres dem kaiserlichen Geschwader entgegengeströmt, als dieses, die mählich anrückenden Flachhügel der kalabrischen Küste zur Linken, dem Hafen Brundisium zusteuerte, und jetzt, da die sonnige, dennoch so todesahnende Einsamkeit der See sich ins friedvoll Freudige der menschlichen Tätigkeit wandelte, da die Fluten, sanft überglänzt von der Nähe menschlichen Seins und Hausens, sich mit vielerlei Schiffen bevölkerten, mit solchen, die gleicherweise dem Hafen zustrebten, mit solchen, die aus ihm ausgelaufen waren, jetzt, da die braunsegeligen Fischerboote bereits überall die kleinen Schutzmolen all der vielen Dörfer und Ansiedlungen längs der weißbespülten Ufer verließen, um zum abendlichen Fang auszuziehen, da war das Wasser beinahe spiegelglatt geworden; perlmuttern war darüber die Muschel des Himmels geöffnet, es wurde Abend, und man roch das Holzfeuer der Herdstätten, so oft die Töne des Lebens, ein Hämmern oder ein Ruf von dort hergeweht und herangetragen wurden.
[Hermann Broch, Der Tod des Vergil, Roman, Rhein-Verlag, Zürich 1958.]/>
Romananfang als Romananfang “Alle glücklichen Familien unterscheiden sich mehr oder weniger; alle unglücklichen ähneln sich mehr oder weniger”, sagt ein großer russischer Dichter am Anfang eines berühmten Romans (Anna Arkadievitch Karenina, ins Englische transfiguriert von R. G. Stonelower, Mount Tabor, Ltd., 1880).
Vladimir Nabobov: Ada oder Das Verlangen
Mehr oder weniger der perfekte Satz, ob er nun am Anfang eines Romanes steht oder auf Seite 74.
Unica Zürn: Der Mann im Jasmin «In ihrem sechsten Lebensjahr führt sie ein Traum in der Nacht hinter den hohen Spiegel, der in einem Rahmen aus Mahagoniholz an der Wand ihres Zimmer hängt.»
Michel Leiris: Die Spielregel, Band 1: Streichungen «Auf den unerbittlichen Boden des Zimmers (Salon? Eßzimmer? Mit einem angenagelten Teppich mit welkem Rankenmuster oder einem losen Teppich mit faden Ornamenten, in die ich Paläste, Landschaften und Erdteile zeichnete, ein wahres Kaleidoskop, womit ich als Kind spielte und zauberhafte Bauten schuf, ein Kanevas für Tausendundeine Nacht, die mir damals die Seiten keines Buches erschloß? Oder ein nackter Fußboden, gewachstes Holz mit dunkleren Lineamenten, sauber geschnitten von der strengen Schwärze der Rillen, aus denen ich zuweilen, um mich zu zerstreuen, Staubflocken stocherte, wenn ich unverhofft eine Nadel gefunden hatte, die den Händen der im Taglohn stehenden Schneiderin entfallen war?), auf den makellosen und unbeseelten Boden des Zimmers (samtweich oder holzig, im Sonntagsstaat oder kahl, den Ausflügen der Einbildung oder mechanischeren Spiele hold), im Salon oder Eßzimmer, Halbschatten oder Tageslicht (je nachdem ob es sich um jenen Teil des Hauses handelte, wo die Möbel gewöhnlich durch Überzüge und all die bescheidenen, meist versprengten Reichtümer durch die Sperre der Fensterläden vor der Sonne geschützt sind, oder nicht), in diesem kaum den Erwachsenen zugänglichen Gehege – und stille Grotte für die Schlafsucht des Klaviers – oder in jenem mehr gemeinsamen Raum, der den großen Ausziehtisch umgab, um den die ganze oder ein Teil der Familie sich zum Ritus der täglichen Mahlzeiten einfand, war der Soldat gefallen.»
Stig Larsson: Die Autisten «Das Eigelb wird mit Zucker und gekochten, geschälten, geraspelten Mandeln schaumig gerührt, und die weiche, plastische Masse verrät keinerlei Ähnlichkeit mehr mit den gelben, eingesponnenen Bällchen und ihrer durchsichtigen Brudermasse, die mit den Schalen zwischen Papier und Weinkorken im Müllbeutel liegt.»
Stig Larsson (Übers.: Jörg Scherzer): Die Autisten. Zürich: Amman. 1989. (Orig.: Autisterna. Stockholm: Bokförlaget ALBA. 1979/1988.)
Fantastisches Buch mit einer geradezu magischen Sprache, die der beständigen Bewegung zwischen Alltag und Obsession, Ruhe und Gewalt mit faszinierender poetischer Präzision eine wunderbar eigenständige Form verleiht. Mit etwas Glück bekommt man’s manchmal noch antiquarisch… 🙁
P.S.: Es handelt sich nicht um den fast gleichnamigen Bestsellerautor (mit -ie-).
“The news about Walter Berglund… wasn’t picked up locally – he and Patty had moved away to Washington two years earlier and meant nothing to St. Paul now – but the urban gentry of Ramsey Hill were not so loyal to their city as not to read the New York Times.” Aus Jonathan Franzen: “Freedom”, London, Fourth Estate, 2010.
Ich lebe in einer kleinen, engen Welt. Schon dieser erste Satz war für mich wie ein Hauch frische Luft im Oberstübchen: Dieser Anflug von Ironie und Weltläufigkeit. Die Spannng, die schon im ersten Satz entsteht: Wer sind die Berglunds? Was an ihrer Geschichte hat Neuigkeitswert? Und wie ist die wohl so, die urban gentry von St. Paul?
Ich habe den Roman verschlungen. Es war der beste, den ich letztes Jahr gelesen habe.
@diefrogg Ich lese ihn gerade und bin auch begeistert. Der Satz ist schon drin in der Sammlung! : )
Un peu de français “Longtemps je me suis couché de bonne heure” est le début de: A la Recherche du Temps Perdu… De manière malicieuse, voulant souligner l’aspect onaniste du texte, Queneau proposait de changer le début du texte en changeant dans ce début de l’oeuvre une seule lettre; ce qui donne: “Longtemps je me suis touché de bonne heure” !!
Au-delà de cette remarque et comme je me réfère souvent à votre site, je me suis permis de mettre Tainted Talents dans mon blogroll… j’espère que vous êtes d’accord !
@Prunier Selbstverständlich bin ich einverstanden und freue mich, Monsieur. Es wurde auch Zeit, dass jemand der Sammlung die Verlorene Zeit hinzufügt… obwohl mich Queneaus Variante fast noch mehr überzeugt ; )
David Foster Wallace: Infinite Jest “I am seated in an office, surounded by heads and bodies.”
Rayuela „Auf eine Weise ist dieses Buch viele Bücher, aber es ist vor allem zwei Bücher.“ So beginnt Rayuela von Julio Cortazár. Dem folgt die Einladung, den Roman auf die „übliche Weise“ zu lesen; oder so, wie es in einem Kapitelverzeichnis vorgeschlagen wird.
Ich bin dem nur kurz gefolgt und habe mich dann zur linearen Lektüre entschlossen und damit alle Unwägbarkeiten in Kauf genommen, die sich aus dem ersten Satz des ersten Kapitels ergeben: „Ob ich die Maga finden würde?“
„Rayuela“ beginnt eigentlich mit einer kreideartigen Skizze von „Himmel und Erde“ (im Original: „cielo“ und „tierra“). Nach dem „Wegweiser“ ein Zitat aus „Geist der Bibel und Universelle Moral…“ Und viertens: Zitat aus Cesár Brutos „Was ich gern sein möchte, wenn ich nicht das wäre, was ich bin“. So weiß man schon nach kurzem, was einem blüht.
Üblicherweise lese ich bei einem Buch, das mich interessiert, den ersten und den letzten Satz. Der letzte steht bei „Rayuela“ auf S. 636: „Warte, bis ich die Zigarette zuende geraucht habe.“ Hier habe ich es nicht getan, weil ich durch einen Eintrag von Aléa Torik dazu gebracht, es bei Amazon zu bestellen. Ausschlaggebend war dabei dieser Satz: “Ohrenbetäubendes Schweigen entstand blitzartig um jede Frau, die dir ähnlich sah, eine geäderte und kristallinische Pause, die schließlich traurig zusammenfiel wie ein nasser Regenschirm, der geschlossen wird.”
@E.A.Richter Vielen Dank für diese schöne Heranreichung; ich werde Cortazár morgen in die Rubrik zu den anderen pflanzen, auf dass Ihre Empfehlung gedeihe.
Richard Powers, “Schattenflucht”, S. Fischer, Ffm., 2002 “Dieser Raum steht außerhalb der Zeit.”
(orig.: Richard Powers, “Plowing the dark”, Farrar, Strauss & Giroux, New York, 2000)
David Foster Wallace: “Der Besen im System” “Die meisten wirklich hübschen Mädchen, stellt Lenore auf einmal fest, haben ziemlich hässliche Füße.”
Peter H. Gogolin / Calvinos Hotel.
liebte in den letzten Jahren vor ihrem Tod die Stille der Nacht.
Albert Camus: L’étranger “Aujourd’hui, maman est morte.”
Rolf Lappert: Nach Hause schwimmen “Heute ist der Tag, an dem ich sterbe.”
Heimito von Doderer, Die Merowinger oder Die totale Familie, München 1962.
So beginnt einer der, meinem Dafürhalten nach, komischsten Romane der Weltliteratur.
David Foster Wallace: The Pale King. An Unfinished Novel “Past the flannel plains and blacktop graphs and skylines of canted rust, and past the tobacco-brown river overhung with weeping trees and coins of sunlight through them on the water downriver, to the place beyond the windbreak, where untilled fields simmer shrilly in the A.M. heat: shattercane, lamb’s‑quarter, cutgrass, sawbrier, nutgrass, jimsonweed, wild mint, dandelion, foxtail, muscadine, spinecabbage, goldenrod, creeping charlie, butter-print, nightshade, ragweed, wild oat, vetch, butcher grass, invaginate volunteer beans, all heads gently nodding in a morning breeze like a mother’s soft hand on your cheek.”
Wilhelm Genazino: Abschaffel “Weil seine Lage unabänderlich war, mußte Abschaffel arbeiten.”
http://www.frankfurt-liest-ein-buch.de/
Jaimy Gordon: LORD OF MISRULE “INSIDE THE BACK GATE of Indian Mound Downs, a hot-walking machine creaked round and round.”
“Lord of misrule”, McPherson & Company, New York, 2010
Thomas Bernhard / Holzfällen “Während alle auf den Schauspieler warteten, der ihnen versprochen hatte, nach der Aufführung der Wildente gegen halbzwölf zu ihrem Abendessen in die Genzgasse zu kommen, beobachtete ich die Eheleute Auersberger genau von jenem Ohrensessel aus, in welchem ich in den frühen Fünfzigerjahren beinahe täglich gesessen war und dachte, daß es ein gravierender Fehler gewesen ist, die Einladung der Auersberger anzunehmen.”
(Thomas Bernhard / Holzfällen – Suhrkamp 1988 … “Wildente” vom Autor hervorgehoben)
Dieser Anfang sog mich damals, als ich es entdeckte, unerbittlich in das Buch hinein; noch in der Buchhandlung las ich, am Bücherregal für österreichische Literatur stehenbleibend, die ersten 20 oder 25 Seiten, und den Rest in wenigen Tagen.
Don Winslow: Savages “Fuck you.”
Don Winslow, Savages, 2010
Gregory David Roberts “Shantaram” It took me a long time and most of the world to learn what I know about love and fate and the choices we make, but the heart of it came to me in an instant, while I was chained to a wall and being tortured.
Abacus, 2004
@Andrea Ehrig Danke! : )
Herzmanovsky-Orlando/Maskenspiel der Genien Ich kann leider nur den Teil zitieren, den ich hier im Internet gefunden habe, denn der erste Satz geht, soviel ich mich erinnern kann, über eine dreiviertel Seite. Vielleicht habe ich auch einen Punkt übersehen…
„Bedeutende Schnellzugslinien versickern im Inneren von Österreich, verlieren durch einen rätselhaften Abschuppungsprozeß den Speisewagen in Leoben, diesem Gewitterwinkel des europäischen Reiseverkehrs.
–
Übrigens hat mir einmal mein Vater vor 50 Jahren Literatur und die Bedeutung des ersten Satzes sehr eindringlich erklärt.
Und auch wenn es kein Buch sondern ein Drama ist, bleibt mir trotz der Anwesenheit wesentlich bekannterer Zitate Der Satz:
“Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten.” im Ohr und Gedächtnis. Ich erspare mir die Quelle.
–
Gallia tota divisa est in partes tres. (Julius Caesar/De Bello Gallico)
Hat mich gefangen genommen, weil ich so stolz war, dass wir “jetzt endlich” lateinische Literatur lasen.
Ich kann beim besten Willen nicht den ersten Satz genau erinnern, vor allem weil es ja zwei erste Sätze gibt.
Meister und Margarita / Mikhael Bulgakov enthält einen Roman im Roman. Jener ist eine Geschichte über Pontius Pilatus. Der Anfang dieser in drei Teilen erzählten Geschichte, klingt so wunderschön und fantastisch als wäre der Beginn eines Gedichtes. In der deutschen Übesetzung genauso wie im Russischen.
Und der wirklich erste Satz fasziniert ebenfalls. Ich muss zuhause nachsehen.
ein eigener Satz Als sein Blick von den drei Monitoren seines Schreibtisches auf die Seitenwand schwenkte, die einen Stadtplan von Belgrad zeigte, irritierte ihn der Umstand, dass laut Plan die Sava die Stadt in West und Ost trennte, eine optische Täuschung, die durch den speziellen Ausschnitt des Planes, der die Mündung des Flusses in die Donau hervorhob, bewirkt wurde; während ein größerer Überblick gezeigt hätte, dass die Sava eine Trennung nach Nord und Süd vollzog, wobei Zemun, der österreichisch-ungarische Stadtteil auf de Nordseite der alten osmanisch kontrollierten Stadt Belgrad gegenüberlag, – einstmals die Speerspitzen zweier verfeindeter Staaten, heute noch belegt durch die Aussagen einiger Belgrader, die behaupten, dass ein Belgrader nie nach Zemun gehen würde und umgekehrt.
Natürlich hätte ich daraus auch 4 oder 5 Sätze machen können. Aber ich habe solang daran gefeilt, bis ich den Satz ohne zu stocken vorlesen konnte. (mir selbst) Und jetzt gefällt er mir auch:)
Steppenhund/ein noch nicht geschriebener Roman:)
@Steppenhund Danke!
Sie wissen natürlich, dass die Rubrik für erste Sätze von (noch) nicht geschriebenen Romanen erst noch zu eröffnen wäre … ; )
Nein so gebildet bin ich noch nicht:)
1. Satz Royal Family Dear Miss Kiehl!
Wenn ich Sie so hinschreibe, denke ich zurück an Diana Rigg; das müssen Arno-Schmidt’sche Lautassoziationen sein.
Ist denn noch Platz in Ihrer 1.-Satz-Rubrik? Ich lese William Vollmann’s “The Royal Family”, also bitte:
“The blonde on the bed said: I charge the same for spectators as for participants, cause that’s all it takes for them to get off.”
Also bitte!!
Beste Grüße
NO
Dear Dr. NO! Selbstverständlich war und ist noch Platz – ich hoffe, die Rubrik wird noch weiter anschwellen. Vielen Dank für Ihren Satz, der mich umgehend veranlasste, das Buch per Mausklick meinem riesigen “zu lesen” – Stapel hinzuzufügen.
[Zu Lesen- Stapel müssen ja mindestens zwei Meter hoch sein: Man weiß schließlich nie, wann man mal eingeschneit wird.]
Beste Grüße,
PHY
Ihr Mausklick freut mich, Miss Phy – und ich fühle mich geehrt.
NO
Alban Nikolai Herbst / Meere «Als der Maler Fichte im Juni 2002 nach Deutschland zurückkehrte, fand er sein Berliner Atelier unverändert.»
Herbst, Alban Nikolai: Meere. Frankfurt a. M. : Dielmann. 2003/2007.
Melancholia auf Pequod für ERSTE SÄTZE:
„Call me Ishmael.”
Herman Melville: “Moby Dick or The Whale”, The Modern Library, Random House Inc., 1992.
The world in a nutshell wird getroffen. Diesmal ist der Koloss weiß, nicht blau. Der Junge überlebt.
Beste Grüße
NO
Pequod für NO
mit herzigem Wal.
Hey.
Das ist ja lieb.
Mit herziger Umarmung
NO
The pleasure is on my side, Doctor NO : )
PHY
Bevor ich schlafen kann Das Glück, meine Liebe, wird die Frau zur Deckenlampe hinauf sagen, wenn es überhaupt kommt, kommt nur einmal, höchstens zweimal, und wenn es tatsächlich zweimal kommt, dann vergeht vom einen zum anderen Mal eine ziemlich lange Zeit.
“Bevor ich schlafen kann” von Monika Helfer. Ich habe es als eine Liebeserklärung an ihre viel zu früh verstorbene Tochter gelesen.
Liebe Phyllis Kiehl,
aus gegebenem Anlass:
„Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte wurde er eines Morgens verhaftet.“
Kafka, „Prozeß“
Bei mir ist es Fischer Taschenbuch, 1993.
Beste Grüße
NO
@Dr. NO Merci. Wird sofort eingespeist!
Tim Parks/Dreams of Rivers & Seas “On reception of his mother’s brief phone call announcing his father’s death, John James took a deep breath, booked himself onto the first available flight for Delhi, had Elaine drive him to Heathrow, travelled towards the coming night and arrived at Indira Ghandi Airport to find the weather much cooler than expected.”
Published by Vintage Books 2009,
First published in Great Britain in 2008 by Harvill Secker
@Libellenauge Vielen Dank für den Parks. Willkommen hier. Der Kühlschrank ist rechts hinten in der Ecke, bedienen Sie sich ruhig – ist alles umsonst. Fast wie früher, als wir noch aus unsichtbaren Tassen unsichtbaren Saft trinken konnten.
Liebe Frau Kiehl,
wenn schon nicht der erste Satz von Aléa Torik, dann ein erster von Charles Dickens. Ist ja Jahrestag. Es heisst unter der Kapitelüberschrift „Oliver Twist“:
„Among other public buildings in a certain town, which for many reasons I will be prudent to refrain from mentioning, and to which I will assign no fictitious name, there is one anciently common to most towns, great or small: to wit, a workhouse; and in this workhouse was born, on a day and date which I need not trouble myself to repeat, inasmuch as it can be of no possible consequence to the reader, in this stage of business at all events; the item of mortality whose name is prefixed to the head of this chapter.”
Meine Ausgabe ist von Collins und aus dem Jahr 1981. Höchst selbst gekauft 1982 in einem Barnes & Nobles Shop nähe Charing Cross.
Mein Gott – das ist eine Generation her jetzt! Schon fast nicht mehr wahr!!
Beste Grüße
NO
Sätze, erste, Dickens, Charles Liebe Phyllis Kiehl,
Sie dürften Recht haben mit Ihrer Analyse, viele erste Sätze sind recht beliebig, und wenn man nicht der ist, der sie ausgesucht hat, fragt man sich oft hier, was sollen die da?
„Oliver Twist“ erster verspricht, die folgenden halten. Oder? Das Elend der Welt wird im ersten angedeutet und später im Roman beklemmend ausgeschmückt. Der Erzähler spricht dort im ersten, und er spricht auch weiter zu uns im Roman. Und der Stil des ersten Satzes, dieses manierierte Sätzedrechseln, ist Program, sieh zum Beispiel: Der Mann im weißen Überrock, ein Beamter der Fürsorge, der prophezeit, dass er Oliver Twist hängen sehen wird – und der Erzähler fährt fort:
„As I purpose to show in the sequel whether the white-waist-coated gentleman was right or not, I should perhaps mar the interest of this narrative (supposing it posses any at all), if I ventured to hint just yet, whether the life of Oliver Twist had this violent termination or no.”
Es ist diese große Sprache, die schon im ersten Satz anklingt. Es ist diese Skurrilität. Das größte Elend des belanglosesten Streuners wird belegt mit der Sprache der gentlemen, eine unglaubliche Diskrepanz zwischen dem elaborierten Sprachgebrauch und dem Elend des Subjekts. Eine fast comichafte Verzerrung.
Passt eigentlich viel besser an die Seite des Ironikers Thomas Mann und des Verfremders Kafka, als an die Seite der Zeitgenossen, der Realisten und Naturalisten, der Tolstois, der Flauberts und der Stifters.
Beste Grüße
NO
Lieber Dr. No, ich hatte einige der neuen “ersten Sätze” noch nicht “offiziell” eingestellt. Was hiermit nachgeholt ist. Vielen Dank für Dickens, Charles! Es gibt ja Schriftsteller, die schreiben so souverän, da möchte man fast den eigenen Griffel beiseite legen und stattdessen die Balkonpflanzen stutzen gehen.
Aber nur fast! Weil – die Leidenschaft! Das Herzrasen, wenn ein Satz gelingt. Das braucht nicht einmal Publikum, das Herz – es rast ganz für einen allein.
(Was Aléa Toriks ersten anbelangt übrigens: Ich selbst habe den Roman noch nicht gelesen. Wenn Sie möchten, schicken Sie ihn mir doch einfach, Toriks ersten Satz. Ich verbinde mit dieser Rubrik keine wertende oder gar ausschließende Absicht – die Auswahl der Sätze obliegt allein den Leser:innen.)
Beste Grüße
PHY
Tom Rachman / The Imperfectionists “Lloyd shoves off the bedcovers and hurries to the front door in white underwear and black socks.”
2011 Dial Press Trade Paperback Edition
Copyright (c) 2010 by Tom Rachman
Anna Katharina Hahn / Kürzere Tage “Judith raucht hastig, mit dem Rücken gegen die Wohnungstür gelehnt.”
Erste Auflage 2010
(c) Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2009
Danke, Libellenauge … dieser Rubrik hatte schon viel zu lang’ niemand mehr zugefüttert!
ist’s erlaubt? »Die Nacht holt Atem und nimmt ungerührt Millionen Existenzen zu sich, doch bereits während sie ausatmet, werden die neuesten geboren.«
(Phyllis Kiehl, “Fettberg”)
“Werden die n e u e n geboren.” !
Wie schön, den eigenen ersten Satz nicht selbst einstellen zu müssen! Und falsch zitiert zu werden ist natürlich trotzdem ungleich besser als nicht zitiert zu werden.
*grinst*
Asche auf mein Haupt. (war zugedröhnt von einem Leid-Lied… ; )
@Wiegenlied Verziehen! : )
Was zählt, ist die Idee.
Gerbrand Bakker / Oben ist es still “Ich habe Vater nach oben geschafft.”
Die Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel “Boven is het stil” bei Uitgeverij Cossee BV, Amsterdam.
(c) Gerbrand Bakker 2008
Deutsche Ausgabe: (c) Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2008
suhrkamp taschenbuch 4142, Erste Auflage 2010
Gerbrand Bakker / Der Umweg “An einem frühen Morgen sah sie die Dachse.”
Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel “De omweg” bei Uitgeverij Cossee BV, Amsterdam.
(c) Gerbrand Bakker 2010 und Uitgeverij Cossee BV, Amsterdam
(c) der deutschen Übersetzung Suhrkamp Verlag Berlin 2012
ich bin der(nach) komponist des libellenaugigen
Anna Katharina Hahn / Am Schwarzen Berg “Es war noch früh und doch schon sehr warm, als Emil Bub an den Rand seines Balkons trat.”
Erste Auflage 2012
(c) Suhrkamp Verlag 2012
@Libellenauge Ich danke Ihnen. Sie scheinen jenen literarischen Rundumblick zu pflegen, der einem Libellenauge angemessen ist! : )
🙂 Komplexaugen wären in der Tat eine feine Sache :))
@Libellenauge Sie zu schließen ebenfalls …
Jonathan Franzen / The Corrections (Die Korrekturen) “The madness of an autumn prairie cold front coming through.”
“Der Irrsinn einer herbstlichen Prärie-Kaltfront, näher kommend.”
Die Originalausgabe erschien 2001 bei Farrar, Straus and Giroux, New York
(c) 2001 by Jonathan Franzen
Auch die Übersetzung ins Deutsche von Bettina Abarbanell finde ich sehr gelungen!
(c) 2002 by Rowohlt Verlag GmbH
Jonathan Franzen / Ècrivain à l’affût du monde “Fünf Tage mit Jonathan Franzen” noch 6 Tage auf arte!
http://videos.arte.tv/de/videos/fuenf_tage_mit_jonathan_franzen-6718990.html
@Libellenauge Danke! Einer meiner Lieblings-Autoren. Obwohl ich gerade einen anderen lese, den ich auch sehr mag: Jeffrey Eugenidis. Sehr flockig “The marriage plot”. Stelle vielleicht, wenn ich durch bin, eine kleine Besprechung dazu ein.
Jeffrey Eugenidis wird als Freund & Schriftsteller gleich 3x in das JF-Portrait eingebunden: 5’50”, 8’34”, 12’57”
Danke für die Empfehlung, habe noch kein Buch von ihm gelesen, lediglich die Sofia Coppola Verfilmung von “The virgin suicides” gesehen, an der kam man aber auch wirlich schwer vorbei …
@Libellenauge Den Film fand ich nur so lala, das Buch allerdings auch, für mein Empfinden ist “Middlesex” immer noch sein interessantester Roman. Aber schaun’ wir mal, was ich sage, wenn ich mit den Marriage Plots durch bin : )
@Phyllis Ich war 22, als der Film in den Kinos lief, und verbrachte bis zum Studienbeginn in der Hauptstadt ähnlich weggesperrte Jahre, wenngleich auf andere Art. Mir hat der Streifen damals also gefallen, die Filmmusik noch mehr! Was ich wohl heute dazu sagen würde? Schönes Wochenende*
Cees Nooteboom / Mokusei! “Der Fotograf, ein noch junger Mann Anfang Dreißig von sehr holländischem Aussehen, ging durch eine der belebten Geschäftsstraßen der Ginza.”
(c) 1982 Cees Nooteboom
Titel der Originalausgabe: “Mokusei! een liefdesverhaal”
B.V. Uitgeverij De Arbeiderpers, Amsterdam 1982
(c) der deutschsprachigen Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1990
Iwan A. Gontscharow / Oblomow “In der Gorochowaja, in einem jener grossen Häuser, deren Bewohner für
ein ganze Kreisstadt langen würden, lag eines Morgens Ilja Iljitsch Oblomow
im Kabinett seiner Wohnung im Bett.”
“Oblomow” (Die Fischer Bibliothek der hundert Bücher), Fischer Verlag, 1961, S.7
Danke, Designerhund, ich dachte eigentlich, wir hätten Oblomow schon gelistet – sah aber gerade, dass dem nicht so war. Ich trage ihn also nachher “offiziell” ein : )
Ach ja… … der Oblomow…der lag wahrscheinlich noch auf seinem Diwan
und rieb sich die rotglänzende Nase am samtweichen Stoff
seines Kissens (oder Bettwurst?)…
“Bettwurst”, Designerhund? Ich glaube, Sie gehen da zu sehr von den Vorlieben Ihrer eigenen Spezies aus ; )
Zu sehr? Werteste Miss TT, nicht, dass ich der Emphatie nicht fähig wäre, aber leider gestattet mir die Gattungszugehörigkeit lediglich den Blick auf den Goldrand des eigenen Tellers und noch die wundervollen Krümel davor. Was dahinter liegt, vermag ich nur zu erahnen… 🙂
Der gestaltete Hund
Peter Nádas / Parallelgeschichten “Noch in dem denkwürdigen Jahr, als die berühmte Berliner Mauer fiel, stieß man unweit der verwitterten Marmor-Statue der Königin Luise auf eine Leiche.”
aus:
Parallelgeschichten, Péter Nádas
Rowohlt Verlag 2012
S. 11
Franz Kafka: Das Schloß “Es war spät abend als K. ankam.”
Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main, November 1994 (erstmals erschienen 1926)
…wahrscheinlich das buch, das ich bei meinem ableben am öftesten durchgelesen haben werde, obgleich fragment: was bis zum abgebrochenen ende alles erzählt und WIE es erzählt wurde, bannt mich vom ersten satz an immer wieder unaufhörlich.
@David Ramirer Wir hatten “Das Schloss” noch nicht? Skandalös! Danke für diesen Satz.
wobei dieser erste satz ja in sich eher sehr nüchtern wirkt am ersten blick; dennoch hält er schon den ganzen roman in sich:
ist es doch für K. in diesem dorf, das wahrhaftig auf mehreren (allen) ebenen eigentum des schlosses ist, immer kurz vor 12 uhr für K.
😉
Ich hab’ das Schloss als Siebzehnjährige gelesen und danach schaudernd verdrängt, wie so vieles von Kafka. Was damals seine Gründe hatte, doch – was zu überprüfen wäre – gelten die vielleicht heute nicht mehr…
schaudernd, das kann ich nachvollziehen.
ich stehe dem roman hilflos gegenüber: er ist kalt, aussichtsfrei, im bäuerlichen mileu angesiedelt aus dem er nicht herauskommt, die situation von K. wird mit jeder seite schwächer und schlechter … dennoch hat er bei mir eine ganz andere stellung als andere romane und erzählungen von kafka (die ich durchaus auch schätze).
wie gesagt: ich habe keine ahnung, was mich an dem buch so fesselt, jedesmal. es muss irgendwas in der sprache sein, das er in seinen anderen büchern nicht ganz so erreicht hat, das mathematisch konstruierte ineinandergreifen der scheinaussichten und falschhoffnungen, gegenseitigen unterstellungen und erwartungen. anders als andere bücher von kafka ist es aber auch enorm ironisch und humorvoll : bürokratie wurde wohl in keinem anderen buch so sehr im mark getroffen.
Ich hab’ das Ironisch-Humorvolle damals nie gespürt: sicher einer der Gründe, weshalb ich immer glaubte, in Asche zu versinken, während ich Kafka las. Ich dachte: “Genial”, hustete, las weiter, dachte noch einmal: “Genial, aber so…”, bekam einen stärkeren Hustenanfall und gab irgendwann ganz grau und entkräftet auf. So meine Erinnerung…
Christopher Ecker, Fahlmann (2012).
>>>> Fahlmann, S.9.
“Das Schiff durchquerte ein Gewässer von lauernder Ruhe”,
aus “Ein Gott der Frechheit” von Sten Nadolny
ungekürzte Taschenbuchausgabe
1.Auflage April 1996
Peter Handke, Mein Jahr in der Niemandsbucht.
1994, >>>> bei Suhrkamp.
Adalbert Stifter / Der Nachsommer Mein Vater war ein Kaufmann.
Robert Musil / Das Fliegenpapier Das Fliegenpapier Tangle-foot ist ungefähr sechsunddreißig Zentimeter lang und
einundzwanzig Zentimeter breit;es ist mit einem gelben, vergifteten Leim bestrichen
und kommt aus Kanada.
@all Danke für die neuen Einsendungen erster Sätze! Immer wieder merke ich, wie sehr ich diese Rubrik mag.
Die Strudelhofstiege Beck Verlag 2013 Die geht wie folgt los:
“Als Mary K.s Gatte noch lebte, Oskar hieß er, und sie selbst noch auf zwei sehr schönen Beinen ging (das rechte hatte ihr, unweit ihrer Wohnung, am 21. September 1925 die Straßenbahn über dem Knie abgefahren) tauchte ein gewisser Dr. Negria auf, ein junger rumänischer Arzt, er hier zu Wien an der berühmten Fakultät sich fortbildete und im Allgemeinen Krankenhaus seine Jahre machte.”
Beste Grüße
NO
Heimito von Doderers erste Sätze und letzte Worte Ein großartiger, vielversprechender Satz, aber der Romananfang hält mir nicht, was der versprach. Habe nach knapp 200 Seiten aufgegeben. Packt mich nicht (um das Wort von zu langweilig zu vermeiden). Vielleicht ändert sich daran ja einmal irgend etwas. Vielleicht ANH, der den ebenso schönen ersten der “Merowinger” aufschrieb.
Beste Grüße
NO