“Bei Dir war ja mal wieder ganz schön was los; ich neide Dir das ein wenig. Wie Du dafür nur ein paar Sätze brauchst, eine Schnecke, eine kleine Zeichnung.”
Ich sage nicht, was ich erwidert habe. Ich schreibe aber, dass es noch nie fair war. Nichts. Nichts war je fair, wo Leute impulsiv reagieren, Zuneigung verschenken, sich mit deiner Arbeit identifizieren, über kleine oder größere Gesten.
Künstlerische Arbeit ist nie das, was belohnt wird. Nur ihre Auswirkung. Wenn sie nicht wirkt, gibt’s keine Belohnung, ganz unabhängig davon, wie brilliant sie ist, wie viel Lebenssaft in sie geflossen ist, Kraft und Überzeugung und Verzicht. Schließlich handeln wir ohne Auftrag, oder? Denn falls es doch einen gesellschaftlichen Auftrag geben sollte, falls es tatsächlich eine Mehrheit dafür gäbe, dass Künstlerinnen und Künstler gebraucht werden, und zwar nicht nur die genialen, er wäre das Papier nicht wert, auf dem er stünde.
Wir wollen alle dazugehören, selbst jene wollen es, die lieber ihre Zunge verschlucken würden, bevor sie das zugäben. Wir wünschen uns, dass unser Einsatz messbar wäre: wer viel einspeist, bekommt viel zurück, wer Geniales einspeist, bekommt geniale Reaktionen. Die Dinge aber, die ich bekommen habe für meine Taten, habe ich mir nie verdient. So fühlte es sich nie an. Ich habe mir, als Künstlerin, noch nie ein Recht erworben. Ich habe noch nie in Kategorien von Rechte erwerben gedacht. Ich habe immer etwas ausgesetzt, das eigen war und ging davon aus, jemand würde sich daneben legen, Haut an Haut.
„Ich bin auf dem Weg in den größeren Maßstab“ erzähle ich. „Das ist mein nächstes Ziel. Ich möchte Biographien begleiten, ich möchte einen Ort haben, an den sie zurückkehren können, auch nach langer Zeit. Die jungen Menschen, mit denen ich arbeite. Ich möchte säen und nachspüren, ob die Saat aufgeht und welche Früchte sie trägt und jenen, die brach liegen, einen Ort geben, an dem auch Brachland einen besonderen Wert hat. Nicht nur Leistung, nicht nur Bereitschaft. Sie haben Angst vor Lücken, sagen sie. Lücken im Lebenslauf. Man redet ihnen ein, es dürfte keine Lücken geben. Ich bin anderer Meinung.“
„Aber Du hast nicht viele Möglichkeiten, darauf Einfluss zu nehmen.“
„Noch nicht. Um die zu haben, muss ich eine Adresse werden. Eine Referenz. Ein Ort, an dem Dinge mit großer Selbstverständlichkeit möglich sind, ein Ort, der Wachstum und Vermischung in Gang setzt. Ich weiß nur aus Erzählungen, wie es ist, wenn allein der eigene Nachname, den man am Telefon ausspricht, am anderen Ende eine Tür verschließt.“
Ich will nicht die nächsten zwanzig Jahre Workshops geben. Es geht mir nicht wirklich um das Schreiben, es ist nur eines von vielen Mitteln zur Ingangsetzung. Es muss einfach Menschen geben, die jüngeren Menschen glaubhaft klar machen können, dass ihre Leistungsbereitschaft keine Garantie dafür darstellt, dass sie geachtet und geliebt werden. Ich kenne so viele, die sind achzehn und haben keinen blassen Schimmer davon, was in ihnen steckt. Fragt man sie, was ihre Stärken sind, sagen sie, ich bin hilfsbereit und ich kann gut zuhören. Ich lasse meine Freunde nicht im Stich. Ich bringe Andere zum Lachen. Alles schöne Eigenschaften. Alles welche, die darauf abzielen, angenommen zu werden.
Noch fast nie hat mich jemand gefragt, ich will mein eigenes Ding machen und damit die Gesellschaft verändern, wie geht das.
Was alle wissen wollen, auch wenn sie die Frage nicht stellen: Was muss ich tun, damit andere mich respektieren, lieben und brauchen, und wie kriege ich das hin, ohne mich übermäßig dafür anstrengen oder verbiegen zu müssen.
„Warum hast Du die Operation an Deiner Gebärmutter eigentlich Schönheits-OP genannt?“
„Weil manche Zellen schön sind und andere nicht. Die hässlichen wollte ich nicht mehr haben.“
„Du hast es runtergespielt.“
„Ich kann nun mal nicht schreiben, während ich nackt auf einem Gyn-Stuhl einen Angriff reite. Und diese Position, dieses gespreizte Ausgesetztsein, bleibt auch danach noch im Kopf, eine Weile.“
„Klingt eher hilflos als angriffslustig.“
„Das widerspricht sich keineswegs…“
„Die Waffe hat aber doch jemand anderes geführt.“
„Nicht wirklich.“
„Die waren nicht nur hässlich, sondern auch gefährlich, diese Zellen.“
„Es geht um Wildwuchs. Unberechenbarkeit. Wie viel davon kann ein Organismus verkraften, ohne dass seine Routinen zusammenbrechen. Überleben ist schön. Sterben nicht.“
Wildwuchs. Was für ein verdammt ambivalentes Wort.
So könnte ich den Ort nennen.
17:08
Aus dem Schreibtraining
Liebe Miezekatze,
als ich im Museum ankam, war ich sehr neugierig, was es hier für Ausstellungen gibt. Da Du auch extrem neugierig bist, wie ich Dich kenne, würdest Du als erstes auf eine Vitrine hochspringen und die interessanten Steinwerkzeuge angucken, auch diskret mit dem Steinball herumspielen, oder auf dem stockförmigen Stein da herumbeißen. Aber pass’ auf! Die sind mit zwei Millionen Euro versichert.
Was sehr bizarr war, waren die Messer, weil sie zum Beispiel drei scharfe Spitzen hatten oder eher blattförmig waren. Und der Schmuck war sehr groß und schwer.
So klein, wie Du bist, könntest Du da reinkrabbeln.
Die reichen afrikanischen Frauen trugen sehr viel Schmuck, um den Leuten zu zeigen, dass sie reich sind. Aber wenn der Mann starb, mussten sie Holz-Accessoires tragen.
Deine verrückte Freundin
Y.
Beim ersten Lesen dachte ich, liebe Phyllis, ich müßte Ihnen hier und da widersprechen, aber beim zweiten Lesen habe ich die Stellen nicht mehr gefunden. Einen Satz würde ich aber noch ergänzen: “Es muss einfach Menschen geben, die [noch unerfahrenen und im besten Sinne naiven] jüngeren Menschen glaubhaft klar machen können, dass ihre Leistungsbereitschaft keine Garantie dafür darstellt, dass sie geachtet und geliebt werden.” Wie macht man das, ohne als Miesepeter und Pessimist dazustehen, ohne vor allem den Jungen die Freude am Tun zu nehmen? Auf die Gegenwart verweisen, darauf, daß es (überspitzt gesagt) nur zwei Arten von Arztbesuchern gibt, nämlich die, die völlig über- und die, die völlig unterfordert sind? Darauf, daß es kaum noch eine auch nur halbwegs krisensichere mittlere Position gibt zwischen Erfolg und Mißerfolg? Die Jüngeren, die ich ein wenig besser kenne, streben jedenfalls nach Teilhabe durch Anpassung an die geforderten Normen, verdrängen aber gerne, daß so viele Psychologen oder Experimentalphysiker in Zukunft nun auch nicht gebraucht werden. Wenn dann gesagt wird, “werde ich schon schaffen”, will ich aber auch nicht widersprechen, denn natürlich kann jeder beruflichen Erfolg haben und auch Anerkennung bekommen, aber eben nicht alle. Eigentlich kann man immer nur versuchen, immer besser zu scheitern und immer weiter zu schreiben, so lange es Worte gibt – das habe ich bei Beckett geklaut, weil’s stimmt. Aber das schreibe ich auch alles nur, weil es heute nicht so gut läuft beim Überarbeiten meines Romans, ich drück mich also, doch nun muß ich wieder ran, mein Auftraggeber macht Druck!
Nur schnell, weil ich noch mitten in etwas anderem bin: miesepetrig müssen solche Ansagen ja gar nicht klingen. Mir ging’s eher darum, dass es nicht damit getan ist, sich an bestehenden Kriterien für beruflichen Erfolg zu orientieren und lückenlos Leistung nachzuweisen. Ich gewinne manchmal den Eindruck, dass sowohl Anpassung als auch Verweigerung so früh einsetzen, dass daraus Muster und Etiketten werden, noch bevor sich ein wirklich eigenes Wollen hat entwickeln können. Eine Selbst-bestimmung. Das ist keine pessimistisch stimmende Beobachtung, sondern eine Motivation für mich, immer wieder die Anfänge, die Brüche und Handicaps meiner eigenen Geschichte auf den Tisch zu legen.
Das kann man tun, also all das auf den Tisch legen, all die eigenen Anfänge und Neuanfänge und Neuorientierungen, die Erfolge und Mißerfolge, das Scheitern und Gelingen und so weiter. Ich kenne mehrere LehrerInnen, die keinen Schule-Uni-Schule-Lebenslauf haben und das genau so machen. Ich fürchte aber, daß viele der Jungen dies als tiefste Vergangenheit begreifen, mit der sie nichts zu tun haben, denn schließlich hat sich die westliche Welt ja stark verändert, sozusagen von schwarz-weiß zu bunt. Und viele, für es einigermaßen läuft, die also Abitur haben, fühlen sich mittendrin und dabei – trauen sich aber wohl nicht, ihre Unsicherheiten zuzugeben und kaschieren sie mit Aktionismus.
Nun muß ich aber wieder zurück zu meinem Roman, mir ist grade eben eine Frauensperson in Ohnmacht gefallen.
*Reicht das Riechsalz rüber*
Mit Riechsalz ist es da nicht getan! Aber es kümmert sich schon jemand, zum Glück, sonst hätte ich garnicht gewußt, wie es weitergeht 😉
Kenn’ ich, wenn die Romanfiguren ihren eigenen Willen entwickeln, furchtbar ist das ; )
Ja, ich bin echt sauer auf die, jetzt ist es nämlich aus mit der Möglichkeit, etwas Erbauliches zu schreiben 😉
Etwas Erbauliches hätte mir gerade noch gefehlt heute!
Ich muss noch dreißig Seiten Schülertexte korrigieren, sonst darf ich heut’ Abend nicht raus.
*Fächelt sich*
Da ist bestimmt etwas Erbauliches dabei, denn die Wege der Schrift sind unergründlich!
(Was wollen Sie denn draußen, kommt nichts im Fernsehen?)
Die Straße (… ist doch immer noch der beste Fernseher ; )
… deswegen werden ja auch so viele Filme auf derselben gedreht!
Wildwuchs, liebe Phyllis, ist ein ganz hervorragender Name für einen Ort! Speziell für einen solchen, an dem man erfahren soll, dass wachsen darf, was will und nicht nur das, was mit der vordergründigen Sorte von Adjektiven wie schön oder nützlich belegt werden kann. Und dass dort brach liegen, aber auch be/geackert werden darf
Und das “Hässliche” und “Gefährliche” macht ja selbst vor den kultiviertesten Gärten nicht Halt, aber die sind schon vorher nur halb lebendig.
Ich könnte zu nahezu jedem Satz aus diesem Text etwas schreiben, er rührt mich nämlich sehr in seiner Aufrichtigkeit und Anteilnahme. Und die Idee mit diesem Ort finde ich einfach wunderbar.
Ansonsten hoffe ich sehr, dass Sie sich gut erholen!
Liebe Grüße,
Iris
Ich habe vorhin schon mal gegoogelt, wer unter diesem Namen auftritt: Das sind fast alles Gärtnereien.
Passt doch!
Liebe Grüße zurück,
Phyllis
(… die jetzt “auf den Wackel” geht, wie mein Vater zu sagen pflegte.
Weil nämlich, im Bahnhofsviertel ist heute Open-Puffs-Nacht! : )