Elfriede Jelinek

“Ich skelettiere die Sprache, um ihr die Lüge auszutreiben. Ich versuche, die Sprache selbst zu zwingen, die Wahrheit zu sagen, sozusagen die Wahrheit hinter sich selbst, wo sie versucht sich zu verstecken. Die Sprache lügt ja, wo man sie lässt.”

58 Gedanken zu „Elfriede Jelinek

  1. Sehen Sie und das finde ich eben schade. Derartige Häppchen werden liegengelassen, während man sich auf einen “großen Bluff” stürzt. Das gibt mir zu denken. Und auch die Frage, was eigentlich eine Lüge ist, wo sie anfängt, was sie zu einer solchen macht.

    • @Weberin Die Zitate hier auf TT werden durchaus gelesen, auch diskutiert gelegentlich. Gerade, weil sie nur so eine kleine, subjektive Auswahl darstellen, im Gegensatz zu den riesigen Zitatarchiven im Netz.

      So. Und über die Lüge und ihre Konturen muss ich nun erstmal selbst nachdenken…

      Herzlich,
      Ihre TT

      (edit 29.5.11: Ich habe eine lange Passage zur Netiquette aus diesem Beitrag entfernt – sie passten nicht unter die Jelinek. Ich werde einen anderen Platz für Überlegungen zu diesem Thema einrichten.)

    • Also: wegen der Lüge: da kann ich aushelfen. Glaub’ ich.
      Es gibt nämlich keine. Denn alles, was danach aussieht,
      ist “sachzwangreduzierte Ehrlichkeit”.
      Sagte Dieter Hildebrandt.
      (und der log nie beim Scheibenwischen)

  2. zu Jelineks Sprachmoral. Es steht aber auch wieder eine seltsam missionarische Moral hinter dieser Einlassung. Die Sprache zu zwingen, die Wahrheit zu sagen, klingt nicht ganz frei von Folter, zumal, damit sowas “gelingt”, jemand erst einmal wissen will, was Wahrheit s e i, und schon da stellt sich die Frage, wie Frau Jelinek, wenn Sie Wahrheit denn weiß, das vorsprachlich, bzw. ohne Sprache denkt, um es auf Sprache dann anzuwenden. Oder fühlt sie “die” Wahrheit? Dann wäre sie nicht weit entfernt von einem Farmer des US-amerikanischen Mittelwestens, der gegenüber Schwarzen die Wahrheit gleichfalls “fühlt”. Dazu kommt etwas Anorektisches in Jelineks Sätzen: Der Reichtum von Sprache kann eben auch in all ihren Volten bestehen; man dünnte sie aus, wollte man sie “rein”. Das Spiel, das die Sprache betreibt, ihre Blütenkraft – und geilheit, als Lüge zu bezeichnen, kommt mir überdies arg protestantisch vor: als bestünde Sprache in ihrer eineindeutigen Aussage. Vieles an der Sprache hat aber mit Aussage, also der Eineindeutigkeit, gar nichts zu tun, sondern sie ist eben auch – und dann wunderbar – Märchen, Fiktion, Erzähllust. Ich möchte sagen: die Wahrheit ist der Sprache imgrunde egal, für Wahrheit haben wir Mathematik. Wäre dem anders, könnte es kein sprachliches Kunstwerk geben, dessen Grundlage religiöse Gläubigkeit ist; triebe man zum Beispiel Rilkes Marienleben Maria aus, bliebe nichts als ein flacher Trümmerhaufen über – ja dieser auch nichtgläubige Menschen ergreifende Gedichtzyklus wäre erst gar nicht entstanden.
    Jedenfalls kommt mir Jelineks Aussage nicht wie die einer Dichterin vor, sondern wie die einer jakobinischen Staatsanwältin, der das Fallbeil nähersteht als die Güte.

    • Sehr österreichisch Da stolpert die Elfriede halt sehr österreichisch dem logischen Positivismus des Wiener Kreises hinterher. Das ist in der Philosophie zwar bereits seit 50 Jahren überwunden, da als unsinnig erkannt und fallengelassen, aber das muss man als Dichter vielleicht ja nicht wissen. Da versuchte man doch der Sprache die Lüge und damit auch gleich der Philosophie die Neigung zur Metaphysik auszutreiben, indem man Kriterien für “wahre Sätze” aufstellte. Und alles, was nicht diesen Kriterien entsprach, das war schlicht und einfach Unsinn. Man schütze uns vor diesen Inquisitoren.

      WAS FÜR EIN UNSINN – Ich halte es da eher mit Arno Schmidt: “Wahrheit?” fragte er und lachte!

      Außerdem, es geht nicht um Lüge und Wahrheit. Es geht gar nicht darum. Es geht nur um eine gute Geschichte!

    • Geilheit und Lüge … ich bin GEIL sagt inge meise.
      ich bin GEIL sagt inge meise, wenn ich dürfte wie ich könnte. leider vergessen die drehbücher manchmal dass ich auch eine frau bin.
      ich bin schon wieder GEIL sagt inge meise. ich bin richtig HEISS!
      ich bin GEIL sagt inge meise. ich bin dauernd GEIL. aber die fernseher sind zu blöd um das zu kapieren.
      ich bin GEIL sagt inge meise. bin ich auch glaubhaft?
      ich bin pausenlos GEIL sagt inge meise. wenn es ihnen nicht passt brauchen sie ja nur auf diesen kleinen knopf hier zu drücken!
      (Elfriede Jelinek: Michael Ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft 1972)

    • Gehalt und Geltung Die Frage, die sich mir hier allen anderen Fragen voran stellt, ist die: Welche Aussagekraft ist dieser Aussage zuzuschreiben? Und ich antworte mir: Da sie nahezu gehaltlos ist – keine. Das, was hier ausgedrückt wird, kann man bei einem Novalis im “Monolog” in einer wesentlich bescheideneren Form lesen:
      “(…)Wie, wenn ich aber reden müsste? und dieser Sprachtrieb zu sprechen das Kennzeichen der Eingebung der Sprache, der Wirksamkeit der Sprache in mir wäre? und mein Wille nur auch alles wollte, was ich müsste, so könnte dies ja am Ende ohne mein Wissen und Glauben Poesie sein und ein Geheimnis der Sprache verständlich machen?(…)”.
      Der Herr Hardenberg maßt sich nicht an, mit der Sprache Wahrheit ausdrücken zu können und – wenn doch – dann durch Zufall. Die Frau Jelinek, so groß ihr Anteil an der Ideenwelt immer sein möge, legt keine Gründe dafür dar, wie sie dahin gelangen will, das zu vollziehen, was sie uns abstrakt und knackig präsentiert. Darum ist jedes Urteil, das über ein “Was jene sagt, klingt schön in meinen Ohren.” hinausgeht, an dieser Stelle fehl am Platz.
      Man muss gerechterweise hinzufügen, dass Jelinek nur sagt, sie
      v e r s u c h e das zu tun, was sie erreichen will. Ob sie dies nach irgendeiner Methode tut oder durch Zufall und Spiel, ist damit überhaupt nicht berührt. Entsprechend bescheiden müssen auch die Ansprüche dieses Zitats auf irgendeine Gültigkeit ausfallen.

    • Nun ja, mir scheint das wie ein Zitat, kein Bonmot, und insofern seinem Kontext entrissen. Wäre interessant, den es umgebenden Text ebenfalls zu kennen; werde mal nachsehen gehen.

      Was allerdings Bescheidenheit versus Anmaßung betrifft: Gäbe es eine Allgemeingültigkeit von Aussagen, es wäre nebensächlich, ob ein Bescheidener oder ein Größenwahnsinniger sie formulierte.

    • Kein Kriterium Gut, halten wir das mal fest. Elfriede Jelinek ist also mit “Wahrheit” und “Lüge” befasst und nennt dafür keine Kriterien. In ihrer Wortwahl schwingt freilich ein moralisches Urteil mit, denn wenn es ihr nur logisch um wahr oder falsch ginge, dann hätte sie nicht von Lüge gesprochen.

      Die logischen Positivisten haben im Gegensatz zu ihr freilich Kriterien für “wahre Sätze” aufgestellt. Die waren da gewissermaßen weiter, aber das Ergebnis waren rein tautologische Sätze. Alles, was in diesem Sinne den Anspruch erheben kann, “wahr” zu sein, ist zwangsläufig tautologisch, sagt nur sich selbst aus.

      Das führt nirgendwo hin. Vor Jahren hat übrigens Peter Handke ein ganz ähnliche Anwandlung gehabt. Er hat damals beschlossen, keine Metaphern mehr zu gebrauchen – auch hier eine Tendenz zu reinen Aussagesätzen – weil er die Bilder und Metaphern der Sprache als die Einfallstore des Falschen in die Sprache ausgemacht zu haben glaubte.

      Nun ja, das alles vergeht ….. folgenlos.

    • Den Nebel erzeugen, beim Vertreiben des Nebels Leider ist es so, dass der Satz von Frau Jelinek, die ich als Schriftstellerin – auch bezüglich ihres dramatischen Werks – sehr schätze, undurchsichtig ist, wie der Nebel auf dem Brocken.
      “Ich skelettiere die Sprache, um ihr die Lüge auszutreiben. Ich versuche, die Sprache selbst zu zwingen, die Wahrheit zu sagen, sozusagen die Wahrheit hinter sich selbst, wo sie versucht sich zu verstecken. Die Sprache lügt ja, wo man sie lässt.”
      Während der erste Satz ja nicht mehr ist, als eine Mitteilung über eine Tätigkeit, ist der zweite gar nicht mehr fassbar, ohne ihn interpretatorisch zu vervollständigen: Die Sprache kann nur, denn sie ist ja nicht stofflich, nur durch sich selbst gezwungen werden. Die Sprache, die die Spache zwingt, darf dabei nicht lügen. Es ist jedoch die selbe Sprache. Lügt die eine, lügt die andere auch. Wenn, resp. falls, die Wahrheit der Sprache hinter der Sprache sich befindet, stellt sich die Frage, welcher Raum sich hinter der Sprache befinden kann. Ist das der Raum der Dinge, Begebenheiten, Kausalitäten, kybernetischen Abläufe usw? Tritt vor diesen Raum, um ihn zu verbergen die Sprache? Tritt jede Sprache vor diesen Raum? Tut sie es immer? Oder tritt eine Sprache manchmal vor diesen Raum? Und: lügt diese Sprache dann, oder handelt es sich nicht vielmehr darum, dass, um abzubilden, was derjenige für Wahrheit hält, der abbilden will, Wörter gewählt werden, welche die kleinstmögliche Varianz zum Abgebildeten aufweisen? Lügt also die Sprache gar nicht, sondern ist zu häufig mit zu viel Varianzen versehen? Handelt es sich also weder um linguistisches Problem? Ist es ein Problem von Sprachphilosophie – was würde Wittgenstein zu sagen haben?
      Frau Jelinek will vermutlich sagen, sie versuche die Wörter zu wählen, die eine Sachverhalt so ausdrücken können, wie es ihrer Wahrheit am nächsten kommt, ohne dabei zu Missverständnissen zu führen. Sie tut es sehr variantenreich. Könnt sein, die Sprache lüge sich in diesem Falle selbst in die Tasche.

    • wahrheit will eindeutig sein.
      ( selbst wenn sie sich als wahres einer mehrdeutigkeit divergierender anschauungen verschrieb )

      mehrdeutigkeit repräsentieren an der sprachlichen basis wörter, die unterschiedliche bedeutungen haben.

      vielleicht meint ja jelinek in dem letzten satz obigen zitats mit diesem “wo” etwas partielles der sprache, nämlich vielleicht ganz einfach nur einzelne, in ihrer grundbesetztheit aufgespalten seiende wörter, welche aus sich heraus nicht mehr exakt als eindeutiges verortbar sind, – zuvörderst wohl homonyme.

      anders machte ja dieses “zwingen” _ “austreiben” ( igitt ) meinem gefühl keinen sinn.
      eine sprache, ihres lyrischen ( klingenden ) potentials “bereinigt”, eine streng systematisierende sprache fliesst ja meistens auf der reinen modulationsebene ( ihrer klanglichkeit ) in so etwas wie “einförmigkeit” aus.
      das kann einer poetischen sprache ja nicht gefallen, deren wahrheit ja eine ästhetische sein will.
      allerdings kann sich ästhetisches ja auch gerne verlustieren wollen, – sinnlichkeit so im allgemeinen hin & her oder gerade hin : vielleicht ist ein heilloses wabern einer sprache in schwammigem vokaular von exklusiv herausstechenden mehrdeutigkeiten für manche ganz einfach etwas anderes als sinnlich, nämlich z.b. verwischt und nicht “nur” z.b. fantasievoll. (?)

    • Meine Interpretation des Jelinek-Zitates kam zustande, indem ich es zunächst ein bisschen personalisierte:

      “Ich skelettiere die (meine) Sprache, um ihr die Lüge auszutreiben. Ich versuche, die Sprache selbst zu zwingen, die Wahrheit zu sagen, sozusagen die Wahrheit hinter sich (mir) selbst, wo sie versucht sich zu verstecken. Die Sprache lügt ja, wo man (ich) sie lässt (lasse).”

      Ich fühle mein Wirklichkeitsabbild wie jede(r) andere. Wollte ich einen Ausschnitt daraus mittels Sprache nach außen kehren und dabei “wahr” sein wollen, ich scheiterte notwendig daran. Jeder Ausschnitt (aus einem Kontext) muss wenigstens an den Rändern unverständlich bleiben. Dazu kommt noch die Gefährdung der sprachlich nachgebildeten “Wahrheit” durch den Leser, weil das Zeichen-Bedeutung-Problem nicht aus der Welt zu schaffen ist. Das leisten nur formale Sprachen in der theoretischen Informatik. (oder die Mathematik, wie ANH anmerkte). Das gelesene Bild wird niemals mit dem gefühlten des Schreibers gänzlich übereinstimmen können. Aber das ist eine Binsenweisheit, ebenso wie die Tatsache, dass “die” Wahrheit nicht zu fassen ist. Auch Jelinek sei dieses Wissen ohne Beweisführung zugestanden. Unter diesem Betrachtungswinkel allerdings untersucht, klingt Jelineks Aussage durchaus befremdlich.

      Dennoch erzeugt das Zitat eine Resonanz in mir, denn ich finde darin meine eigenen Bestrebungen wieder, mit meiner Sprache nicht “die” Wahrheit, sondern Wahrhaftigkeit zu sprechen, also die Spannung zwischen meinem Wirklichkeitsabbild und dem Ausdruck desselben auf ein erträgliches Maß zu reduzieren – die Außenwelt spielt in diesem Streben gar keine Rolle. Es gelingt mir leider kaum. Das hindert mich aber nicht daran, mich darum zu bemühen, Verschleierungen und Verbrämungen – ja sogar Lücken – aufzuspüren in der Ausarbeitung dessen, was ich gefühlt ins Außen bringen will. Meist gelingt mir das so gut, dass kaum etwas übrig bleibt von dem, was gesagt werden wollte. In Jelineks Formulierung kann ich aus jener Denkecke heraus befühlt eine Überhöhung der Tugend sprachlicher Redlichkeit sich selbst (jedoch nicht dem Leser!) gegenüber erspüren.
      (So. Geschrieben und eingestellt trotz verspürten Schultertippens von hinten.)

    • @PHYLLIS Haben Sie die Stelle nachgeschlagen (Ist in “Dialogen und Monolog” zu finden)?

      Den zweiten Teil Ihres Beitrags verstehe ich so nicht. Natürlich wäre es irrelevant, wer da formuliert. Sie wollen mir vermutlich nur zeigen, dass mein Kommentar fehl am Platz ist, was durchaus sein mag. Meine Absicht ist vielleicht ebenfalls bescheidener, als Sie glauben:
      1) Ich spreche dem kurzen Zitat einen bestimmten Inhalt ab.
      2) Ich zeige (vielleicht unnötigerweise), dass Frau Jelinek sich nicht alleine mit dem Problem herumschlägt, die Sprache dazu zu bringen, das auszudrücken, was sie mit ihr vermitteln will.
      3) Und ich erwähne, dass der von mir geschätzte Autor die Sache weniger einfach gesehen hat, als es Frau Jelinek zu tun scheint. Er glaubt nur an das zufällige Zustandekommen von Wahrheit nach inneren Gesetzen der Sprache selbst (und damit subjektunabhängig), während Frau Jelinek dies immerhin für methodisch vollziehbar zu halten scheint.
      Hier kommt auch die Bescheidenheit ins Spiel. Sie sagen: “Ob bescheiden oder nicht, spielt keine Rolle.”, und ich sage: “Kein Einspruch.” Mein Vorhaben war es jedoch lediglich zu betonen, dass es sein könnte, dass dieser “Spruch” Jelineks deswegen so weit ausholt, weil er der nötigen Reflexion ermangelt, die einen anderen (z.B. Novalis) zu Verzweiflung bringen würde und nicht so leichtfertig über Wahrheiten in sprachlicher Form reden ließe. Das ist die Bescheidenheit, um die es mir geht – Bescheidenheit aus Reflexion und der Verzweiflung an den Problemen, die diese Reflexion mit sich führt. Die scheint bei diesem Zitat zu fehlen. Wenn ich Sie nicht recht verstanden haben sollte und Sie Weiteres einzuwenden hätten, bitte ich Sie mir Ihre Einwände vorzutragen.

      (Ich meine übrigens, dass die Interpretation von “Kienspan” sehr treffend ist und die Suppe zum Erkalten bringt. Von einer wahrhaften Sprachmoral ließe sich zumindest dann nicht mehr reden.)

    • @ValiVarius Vielen Dank, nein, ich hatte die Stelle noch nicht gefunden. Und Ihren Kommentar fand ich keineswegs fehl am Platz: Falls Sie das aus dem zweiten Teil meiner Antwort herausgelesen haben, sorry, vielleicht habe ich missverständlich formuliert, oder einfach zu knapp. Sie sind willkommen hier.
      Will über das nachdenken, was Sie nun ergänzt haben, dazu bin ich aber jetzt zu müde –

    • @PHYLLIS Da muss ich mich glatt für meine Unbescheidenheit bei der Auslegung Ihrer Antwort entschuldigen. 🙂 Eine erholsame Nacht wünsch ich Ihnen und freue mich auf die weitere Koversation!

    • p.s. womöglich einer klarheit halber –

      ich hätte eben in meinem – diesem nun vorauslaufenden kommentar in der beiläufig gemeinten klammer statt “mehrdeutigkeit” > mehrfachgedeutetheit schreiben sollen, sorry.

  3. Ist irgendwem aufgefallen, dass Frau Jelinek in diesem Zitat, über Ihre Worte, ihre Wahrheit spricht iund über sonst keine.

    • Sie haben absolut recht. Soll ich sie anrufen und fragen, ob wir trotzdem über ihre Sätze diskutieren dürfen? ; )

      Nachtrag 29. Mai: Ich denke, eine Schriftstellerin vom Kaliber Jelineks wird sogar davon ausgehen, dass man solche Aussagen als über ihre Person hinaus reichende diskutiert.

  4. @ANH, PHG & Leander Sukov Nachdem Sie heute reichlich Munition zusammengetragen haben, um Frau Jelineks Aussage Paroli zu bieten, scheint mir weiteres Denken von meiner Seite überflüssig. Die Abende in K**** sind einfach zu schön, um sie freiwillig mit Skelettieren zu verbringen.

    Doch etwas anderes: Gleich drei geschätzte Kollegen des Kulturmaschinen-Verlags auf einmal hier beisammen zu haben, das ist eine Premiere! Champagner!!

  5. @alle Kennt einer hier die Bedingungen, unter denen es zu dieser Sentenz gekommen ist? (Bzw.: Wo ist das Zitierte zu finden?) Und kennt jemand die Bedeutung dieses Ausspruchs für die Aussprecherin? (Hat sie darauf weiter etwas gegründet oder sich nicht weiter damit beschäftigt, vielleicht es sogar verworfen?). Ich frage diese Sachen, da ich, im Gegensatz zu den meisten hier, nicht genug up-to-date bin.

    • @Valivarius Sie fragen zu recht nach dem Kontext und auch der Stellung und Bedeutung des allzu kurzen Zitats von Frau Jelinek in ihrem Schaffen. Schon ein kurzer weiterer Satz, geschweige denn lange Passagen vor und nach diesem Auszug können ja die Sachlage deutlich ändern. Oder steht der Satz tatsächlich ganz und gar allein? Von Samuel Beckett (auch wenn ich Frau J. nicht mit Beckett auf eine Stufe stellen will, bewahre!) gibt es zum Beispiel auch Aussagen zur Sprache und deren Gehalt und Möglichkeiten, doch um diese wirklich zu begreifen, sollte man schon einiges von Beckett gelesen haben, denn Sprache ist ja nunmal die Praxis schlechthin, an der sich alles zeigt oder gar beweist.
      Wenn also jemand nach all den Stellungnahmen den größeren Kontext herzustellen in der Lage ist, kann man die spannende Frage nach Wahrheit und Sprache sicher noch einmal stellen und zu beantworten suchen.

    • @Norbert W. Schlinkert Ich hab’ gestern danach Ausschau gehalten, war aber zu ungeduldig. Und auch im schieren Kontent von Frau Jelineks Homepage schnell abgelenkt. Da gibt’s sicher bessere Methoden der Suche.

    • @Kienspan Schlinkerts Kommentar kann ich mich nur anschließen, denn ich hatte ebendieses auch erwogen, dann aber unterstellt, sie würde eh nicht darauf reagieren.
      Es trotz solcher Vermutungen dennoch zu versuchen – klasse.

    • @ValiVarius Es war Kienspan, der bei ihr anfragte. Und heute in anderem Zusammenhang erwähnte, er würde uns auf dem Laufenden halten. Bin tatsächlich sehr gespannt, ob Frau Jelinek reagiert.

    • Frau Jelinek hat nicht geantwortet auf meine zwei Anfragen. Ebensowenig hat sich jemand aus dem Rowohlt Verlag geäußert, den ich auch angesprochen hatte. Bedauerlich, aber keineswegs überraschend.

    • @Kienspan “Im Spinnennetz des Virtuellen verheddert sich Jelinek schon seit Jahren am allerliebsten und erklärt dazu: Sie, die nicht leben könne, die es nicht ertrage, angeschaut oder angesprochen zu werden, für die Menschenaufläufe oder U-Bahn-Fahrten unerträglich sind, empfinde sich selbst als lebende Tote, der das Schreiben im Netz extrem entgegenkomme. Da und gleichzeitig nicht da. Das ermöglicht ihr das Internet. Und auch Entlastung von sich selbst durch Rollenspiel und Distanz.”

      Diese Passage kam mir gerade unter, leider hab’ ich die Quelle, als ich sie archivierte, nicht mit dazugeschrieben. Ein Artikel in irgendeiner der großen Tageszeitungen war’s wohl. Wie auch immer: für eine Frau ihres Schlags sind wahrscheinlich Anfragen jedweder Natur eher lästig.

    • @Kienspan Ich verstehe eins nicht ganz: Irgendjemand hat doch das Zitat gefunden. Dann müsste dieser Finder doch auch den Zusammenhang kennen, aus dem das Zitat stammt oder?

    • @ValiVarius Das ist nicht notwendigerweise so. Im Google finden Sie zum Zitat gerade mal 32 Treffer zum nackten Zitat (jeweils ohne Kontext). Sie haben mich mit Ihrer Frage aber auf eine verwegene Idee gebracht. Ich melde mich zu diesem Thema nochmals, dann aber höchstwahrscheinlich mit einem verwertbaren Ergebnis.

    • @Kienspan Was war das denn für eine Idee? Etwa die Betreiber der Webseiten zu kontaktieren, die das Zitat hochgestellt haben?

    • @ValiVarius Ich habe das Elfriede Jelinek-Forschungszentrum kontaktiert. Das in Rede stehende Zitat ist dort bestens bekannt. Leider war in der Eile niemand aufzutreiben, der den Kontext aus der Archiv-Schublade ziehen konnte. Jedoch wurde ich eingeladen, selbst Einsicht zu nehmen, was ich mir für nächste Woche auch tatsächlich vorgenommen habe.

      Aus der erhaltenen (sehr persönlich gehaltenen) email möchte ich ohne Rücksprache nicht zitieren. Allerdings kann ich reinen Gewissens den enthaltenen Hinweis auf Jelineks Nobelpreisrede anführen, welche in einer beispielhaft hervorgehobenen Passage die Interpretation des Zitats erleichtern soll, und damit zur Diskussion stellen. Zitat aus Jelineks Nobelpreisrede: “Es läuft zur Sicherheit, nicht nur um mich zu behüten, meine Sprache neben mir her und kontrolliert, ob ich es auch richtig mache, ob ich es auch richtig falsch mache, die Wirklichkeit zu beschreiben, denn sie muß immer falsch beschrieben werden, sie kann nicht anders, aber so falsch, daß jeder, der sie liest oder hört, ihre Falschheit sofort bemerkt.” Zitat Ende.

      Die Rede ist in gekürzter Fassung im Internet abrufbar, unter anderem bei der FAZ: http:// http://www.faz.net/artikel/C30712/festakt-der-nobelpreise-im-abseits-30161468.html
      Mein Ehrgeiz ist nun derart angestachelt, dass er nur mehr mit dem Endergebnis (= Archivfund) zu beschwichtigen ist.

    • @Kienspan Das freut mich, dass Sie so voll Enthusiasmus bei der Sache sind. Ich bin sehr gespannt auf Ihr Resultat. Viel Erfolg dabei! vv

    • @Kienspan: Die Sprache, die neben ihrer Schöpferin herläuft, gleichsam als Kontrolletti? Auf was Nobelpreisträgerinnen heutzutage so alles kommen! Natürlich stellen sich anhand des Zitats einige Fragen, zum Beispiel, woher denn die Sprache die Kompetenz hat, etwas zu beurteilen, das sie selber ist, nämlich Beschreibung einer von Sprache wenigstens teilweise unabhängig daseienden Wirklichkeit. Kontrolliert sie sich also selber, wie sie die Wirklichkeit falsch ausdrückt, damit dies jeder bemerken und ins Gegenteil drehen kann, damit so die Wirklichkeit beim Leser letztlich so ankommt, wie sie ist? Wozu dann aber die vielen Worte? Zur Sicherheit vielleicht, damit nichts verlorengeht? So wird’s sein, so daß wir die Wirklichkeit Frau Jelineks in ihren Texten finden, indem wir sie (die Texte) in ihr Gegenteil verkehren. So haben wir am Ende zwei Wirklichkeiten, die falsche des Textes und die richtige, die deckungsgleich mit der der Schöpferin ist – das ist die Frau, die neben dem Text dort hinten um die Ecke verschwindet. Weg isse. Schad.

    • @NWS zu Jelinek Ich setze das Zitat fort: “…Die lügt ja! Und dieser Hund Sprache, der mich beschützen soll, dafür habe ich ihn ja, der schnappt jetzt nach mir. Mein Schutz will mich beißen. Mein einziger Schutz vor dem Beschriebenwerden, die Sprache, die, umgekehrt, zum Beschreiben von etwas anderem, das nicht ich bin, da ist – dafür beschreibe ich ja soviel Papier – , mein einziger Schutz kehrt sich also gegen mich.”

      Was sie mit dem falschen Beschreiben der Wirklichkeit gemeint haben könnte, mag sich vielleicht aus dem ersten Absatz Jelineks Rede weiter erhellen: “…Der Blick (Anm: des Dichters) trifft genau. Das von diesem Blick Getroffene (Anm: das Unzureichende) sagt noch im Hinsinken, obwohl es ja kaum angeschaut wurde, obwohl es noch nicht einmal dem scharfen Blick der Öffentlichkeit ausgesetzt worden ist, das Getroffene sagt niemals, daß es auch etwas andres hätte sein können, bevor es dieser einen Beschreibung zum Opfer gefallen ist. Es besagt genau das, was besser ungesagt geblieben wäre (weil man es hätte besser sagen können?), was immer unklar bleiben mußte und grundlos. Zuviele sind schon bis zum Bauch darin eingesunken. Es ist Treibsand, aber er treibt nichts an. Es ist grundlos, aber nicht ohne Grund. Es ist beliebig, aber es wird nicht geliebt.”

      Die vollständige Rede ist auf Jelineks homepage nachlesbar. Sie ist dort in der Seitenleiste in der Kategorie “2005” unter dem Titel “Im Abseits” verlinkt. Am Ende der Rede findet sich übrigens ein unscheinbarer Link auf jene Seite der Nobelpreis-Präsenz im Netz, welche die Videoaufzeichnung der Rede enthält.

      Nach meinem Verständnis ist Sprache nicht geeignet, Wirklichkeit zu beschreiben, jedenfalls nicht im “Außen”. Sprache schafft Wirklichkeit (darin liegt meines Erachtens ihr unendliches “Lügen”-Potenzial), die wir betasten und begrapschen mit unseren unsicheren Gedankenfingern. Sie ist ein Medium, in dem alles entsteht, was überhaupt denkbar ist. Sprache ist möglicherweise auch das, was übrig bleibt von einem alles enthaltenden amorphen Gebilde, aus dem jenes herausgemeißelt wird, das nicht gesprochen sein soll. Gemessen an den unendlichen Ausmaßen dieses Gebildes, erscheint Sprache dann als durchsichtiges Nichts. Die Frage gälte es zu klären, was mit dem Wort “Sprache” gemeint sein solle, welche Gedankenkonstrukte sich zu welchem Begriff verdichten sollen, damit über “Sprache” einheitlich gesprochen werden könnte (also den Hund beim Schwanz so packen, dass er nicht beißt). Letztlich aber kommt es nicht auf Sprache an, sondern auf ungesagte Haltung.

      Nachsatz:
      In einem Interview-Ausschnitt anlässlich der Nobelpreisverleihung sagte Jelinek:
      “Meine Stücke sind lange Monologe, die – wie auch die Prosa – mit Sprache arbeiten. Also, wenn ich jetzt meine Literatur charakterisieren müsste, würde ich sagen, es ist eine musikalische oder kompositorische Arbeit mit Sprache. Das Problem dabei ist, dass man es sehr schwer übersetzen kann. Also insofern bin ich eine Provinzautorin und haben Sie einer Provinzautorin den Nobelpreis gegeben.”

    • Ich empfinde die Bildsprache Jelineks oft als (gelinde gesagt) banal, sie ist ohne Witz, ohne Humor und nur mit soviel Verstand behaftet, daß das Jammerige, das Unverstandensein, das Opfer-Sein von jedem Leser oder Zuhörer begriffen wird, ganz ohne Umkehrungen. Da die Frau weiß, was sie tut, sollte man das schon ernst nehmen, das ist so und nicht anders gemeint, auch in all seiner Verworrenheit. Das ist m e i n Eindruck ohne Anspruch auf Gültigkeit. Und natürlich, Kienspan, haben Sie recht, Sprache schafft Wirklichkeit, das läßt sich nicht gegenrechnen oder vertauschen mit anderen Wirklichkeiten, und wenn es versucht wird, dann muß dies scheitern. Vielleicht läßt sich das jelineksche Schaffen am ehesten mit dem Versuch beschreiben, immer besser zu scheitern (Beckett), und zwar innerhalb des Sprachkosmos, in dem Sprache offensichtlich das durch den Blick des Dichters Getötete dem Schein nach wiederbelebt zu Etwas – das wenigstens ist ein Bild mit Pepp!

      Ach ja, bevor ich es in vorauseilendem Gehorsam dann doch nicht erwähnt hätte: ich habe den allergrößten Respekt vor jeder Art ernsthaft gestaltetem künstlerischen Ausdruck, gleich von wem, was aber nicht heißt, daß es mir in jedem Fall gefällt oder ich keine Fragen oder Kritik anzumelden hätte!

    • Aber warum denn? Das liegt natürlich ganz bei Ihnen, doch dann bliebe meine erste kurze Reaktion auf die jetzt etwas umfangreicheren Jelinek-Zitate ja ganz allein im Raum stehen – jedenfalls steht das zu befürchten.

    • Wahrscheinlich, lieber Norbert W., hat Kienspan ganz eigene Gründe, sich zurückzuziehen. Vor allem das “geräuschlos” macht mich natürlich stutzig. Ebenso wie das “Danke”. Ich glaube, diese beiden Sätze merke ich mir für späteren Eigengebrauch.
      Um ein Einschlafen der Diskussion müssen Sie, glaub’ ich, dennoch nicht bangen.

    • @Kienspan Dass Sie sich die Mühe gemacht haben, Ihre Erkundungen mit uns zu teilen: Ich weiß, so etwas braucht immer Zeit und eine bestimmte, nicht unanstrengende Form von Gewissenhaftigkeit. Merci, lieber Kienspan.

    • Eben deswegen will ich natürlich weiter dranbleiben, denn nun ist ja schon viel mehr da als vorher. Vielleicht denkt Kienspan ja, ich hätte mich über Jelineks Text unangemessen geäußert, das wäre mir unangenehm.

    • Lieber Kienspan & lieber Schlinkert, es ist kein literarisches Gütezeichen, Humor zu haben. Humor hat auch, weiß Göttin, Herta Müller nicht; wahrscheinlich hat sie auch wenig Grund für Humor. Vergessen wir bitte nicht, daß Der Witz eine Reaktionsbildung – also Abwehr – ist. So gesehen, dient der Humor sich an – wenn er denn verstanden wird. Den “Witz” Kafkas (eines großen Humoristen des Schwarzen Humors) haben nur wenige verstanden – er wurde uns auch ausgetrieben, auf dem Gymnasium. Gerade bei ihm war er aber auch nicht das Zeichen einer großen Selbstverfügbarkeit. Daß wir von Verzweifelten verlangen, sie sollen lachen, wirft ein dunkles Licht auf uns selbst.

    • @ANH Mit Witz war im ursprünglichen bzw. altertümlichen Sinne Verstand und Schlagfertigkeit gemeint, mit Humor eben jene tieferliegenden Schichten, die untergründig wirken. Insofern erwarte ich von Jelinek keine leichtfüßigen Texte, sondern tatsächlich eine skelettierte Sprache, die bar jeder Anbiederung ist. Auch wenn mir viele Texte Jelineks nicht gefallen, ich verstehe in diesen Texten (und nicht durch diese Texte) durchaus, warum sie nicht anders geschrieben sein können. Es sind spröde Texte mit “falschen” Bildern.
      Mir ist übrigens Kafka und auch sonst kein guter Autor auf dem Gymnasium (das ich nur im 5. und 6. Schuljahr habe besuchen dürfen) oder an sonst einer Schule verdorben worden, ich habe alles immer zuvor schon freiwillig gelesen, wenn auch natürlich ganz naiv und völlig falsch. Hat noch keinem geschadet.

    • @Kienspan Ja, so endet das hier. Verzeihen Sie mir, dass ich mich nicht weiter zu Ihren Zitaten geäußert hatte: Ich hatte einfach nichts zu sagen. Dass Sie sich die Arbeit gemacht haben – haben Sie dafür meinen Dank. Beste Grüße

    • @Valivarius Sehen Sie mal da, oder auch dort (Di.07.05.02). Das Jelinek-Forschungsinstitut wird sich um eine Abschrift des Interviews bei der dpa bemühen und hat mir zugesagt, eine Kopie davon an mich weiter zu leiten. Erst wenn ich das vollständige Interview vor mir haben werde, ist diese Arbeit für mich abgeschlossen.

    • @Kienspan Erinnert mich ein bisschen an die Expressionisten/ Dadaisten, was da geäußert wird. Freue mich auf Ihre Abschrift. Gruß, ValiVarius

  6. Jelineks Wahrheit, ff. Ich werde geprügelt, auf dass ich schweige, weil ich etwas zu sagen habe.
    Du wirst geprügelt, auf dass du sagest, weil du etwas zu sagen hast.
    Er prügelt sie, es schreit.
    Sie haben nichts zu sagen und sagen es dennoch, das Nichtssagende, dröhnend, weil sie das Sagen haben, nachdem wir unsere Stimmen an sie vergeudet haben, sagt Ihr: ausgespuckt.

    Ich prügle die Sprache, bis sie die Wahrheit spricht und den Prügel widerstandslos in die Tasche der Hose einsteckt, die sich der Leser dann anzieht. Jetzt steht er da, der Leser, mit einem Prügel in der Hose. Der Prügel ist ihm unbequem. Er zieht ihn aus der Hose hervor und schlägt sich damit auf den Kopf. Oder er reibt daran, bis er zu spucken beginnt und schlaff wird. Danach wird ihm der Prügel aus der entkräfteten Hand gleiten. Dann sage er, was er zu sagen hat, der geprügelte (oder entkräftete) Leser, wenn er denn noch eine Stimme hat. Er muss sich beeilen, der Zeitraum dafür ist schmal. Sechs Wochen vor der Wahl wird das amtliche Wählerverzeichnis aufgelegt, aus dem er sprachlos das Abziehbild seiner Stimme herauslöst. Sie wird ihm verliehen für die Gültigkeitsdauer eines einzigen Tages und an der Wahlurne grinsend zurückgefordert. Wenn er sich des Sagens enthält und die geliehene Stimme nicht in die aschfahle Urne des unsagbaren Grinsens fällt, verfällt sie. Sie wird Nichts. Dann heißt es für den Zorn, viele weitere Jahre lang Zinsen zu zahlen. Zinsen, die wie das Ungesagte ungesagt bleiben müssen, weil sie in der Menge des zu Sagenden nicht existieren. So funktioniert Demokratie, sagt die griechische Sage. Den alten Griechen ging es um Wahrheit, sagt man. Deren Nachkommen aber haben damit begonnen, die Wahrheit aus der Sprache ihrer Vertreter herauszuprügeln. Prügelsprache: soweit sind wir gekommen, und alles begann mit einem Prügel in der Hose.
    —–
    Das Zitat ist nicht korrekt.
    “Ich skelettiere die Sprache, um ihr die Lüge auszutreiben” ist nicht Teil jenes Interviews vom 07.05.02 mit der dpa anlässlich der Verleihung des Berliner Theaterpreises an Elfriede Jelinek. Da sich kein Beleg dafür recherchieren ließ, könnte es sich dabei sogar um eine “urban-legend” handeln.
    —–
    Den Text widme ich Phyllis. Ich habe bei und von ihr gelernt, meine Sprache zu achten und ich prügle sie lustvoll und ich prügle sie lustvoll, die ihre Prügel aus den Hosen hervorholen und nur daran reiben, um zu spucken.
    —-
    Mein inniger Dank geht an Herrn Peter Clar vom Elfriede Jelinek-Forschungszentrum, der mich bei der Recherche mit herzlichem Engagement unterstützte, indem er mir das Institutsarchiv öffnete, Zeit darauf verwendete, im Gespräch mit mir den Wahrheitsbegriff Jelineks zu erörtern und, nicht zuletzt, das Interview bei der dpa organisierte, welches nun vollständig vorliegt. Merci.

    • Ihr Text, lieber Kienspan, und der Prozess, der ihm voranging: es freut mich sehr, dass Sie uns nach Ihrem längeren Schweigen hier auf TT daran teilnehmen lassen.
      Ich selbst schüre meine Themenfeuer meist nicht lang’ genug, um in der Glut noch einen Text garen zu lassen – meine Anverwandlungen finden intuitiv statt, nicht über Recherche. Bei Ihnen dagegen habe ich den Eindruck von Beharrlichkeit… wenn Sie mal Blut geleckt haben, lassen Sie nicht so schnell wieder locker. Sich auf Fremdes einlassen, hineinwachsen, es sich aneignen und dann darüber hinausgehen… Wenn das mit Intention und Intensität geschieht, wird daraus ein sich behaupten gegenüber dem vormals Fremden. Man hat es sich einverleibt. Das ist mein Eindruck von Ihnen und davor ziehe ich meinen Hut.
      Ja, achten Sie Ihre Sprache. Dieser Impuls, das Eigene geringzuschätzen: das sind a l t e Narben im Gehirn, da fingert man immer wieder hin.
      Willkommen im Jetzt.

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