Dieses Mädchen ist, Himmel sei Dank, nicht mehr mager. Doch sie war’s. Sie war, deutete sie schreibend an und erzählte auch später, mit fünfzehn so ausgezehrt, dass nichts mehr ging. Ich sehe dem Mädchen in die Augen. Einen Wahnsinnsblick hat sie, hell, klug, eine Sprache sprechend, von der andere Siebzehnjährige nicht mal was ahnen. Wer den Dämon der Magersucht überlebt – und das hat sie, sonst säße sie nicht an meinem Tisch – hat meine volle Bewunderung. Mir egal, wie aufgeladen ich klinge – es erschüttert mich einfach immer wieder, wie früh dieser Kampf, “richtig” auszusehen, schon losgeht. Und bis man in der Lage ist, diesem Druck mittels eigener Intelligenz, Vorstellungskraft und Lebenserfahrung ein “Ich bin!” entgegenzusetzen, kann die Selbstwahrnehmung schon schwer beschädigt sein. Aus eigener Erfahrung weiß ich, diese Marker kriegt man nicht mehr los, die einzige Möglichkeit, scheint mir, ist, mit ihnen zu arbeiten.
Jedenfalls ging mir dieses Mädchen nicht aus dem Kopf gestern Abend, während die Diskussion der Ausgewachsenen (Sie wissen schon, wo) um offensiv Weibliches kreiste. Ich spürte, was für ein Riesenbrocken das ist. Und dass ich ein Gespräch dazu gerne noch weiter führen würde.
So. Pause zuende. Weiter geht’s.
19:13
Eben muss ich an Stieg Larssons “Verdammnis” denken, ich sah die Verfilmung kürzlich im Fernsehen. Diese Frau, die Hackerin. Klein, tätowiert, misstrauisch, geschunden und wehrhaft bis zum Äußersten, eine Phoenixin, aus der Asche ihrer Jugend gestiegen, bei gleichzeitigem Verlust all dessen, was man heutzutage soziale Kompetenz nennt.
Die Trilogie von Larson ist, vermute ich, nur wegen dieser unkonventionellen Frauenfigur so erfolgreich geworden.
(Die Bücher sind übrigens schlecht geschrieben, finde ich; ich versuchte mich letztes Jahr mal daran und legte den Band nach dreißig Seiten weg)
Schlecht geschrieben? Ist ja bei vielen erfolgreichen Thrillern so. Vielleicht gilt einfach: wer eine spannende Geschichte zu erzählen hat und faszinierende Charaktere vorweisen kann, braucht nicht auch noch eine tolle Sprache. Irgendwie aufschreiben, was gerade passiert, reicht.
Ich kenn’ diese Toleranz, bei Science-Fiction hab’ ich die auch (Phillipp K. Dick kann auch nicht schreiben, hat aber unglaubliche Ideen), aber Thriller lese ich eh so selten, nicht mein Genre, vielleicht deswegen versagt sie da. Fand auch Dan Brown sprachlich unattraktiv, auch der hat gute Plots. Dann lieber eine gute Verfilmung.
Trotzdem, manche Bücher will man einfach konsumieren wie Spagetti Bolognaise, da kommt’s tatsächlich nicht auf Stil an, sondern auf Sog. Wenn das über die Story funktioniert, prima.
Diese Salander-Figur… ist das Schillerndste an den Stieg Larsson-Thrillern, finde ich. Sie sind ja sonst spannend (jedenfalls Band 1 und über lange Strecken auch 2; 3 habe ich dann doch nicht gelesen, keine Lust). Aber diese Figur fasziniert. Pipi Langstrumpf soll eines ihrer Vorbilder gewesen sein, habe ich irgendwo gelesen. Wahrscheinlich auch Lara Croft, vermute ich. Wir haben es ja mit einer Männerphantasie zu tun.
Sie funktioniert aber psychologisch meiner Meinung nach nicht. Deshalb überrascht es mich, dass Sie sie mit magersüchtigen Mädchen in Verbindung bringen. Ich sehe sie eher als faszinierende Kunstfigur.
@diefrogg Vergessen Sie nicht, ich hab keines der Bücher gelesen und nur den ersten Teil der Verfilmung des dritten Bandes gesehen.
Salander hat sich deswegen nicht entwickeln können für mich, sie ist nicht viel mehr als ein Eindruck. Und der war einer der Selbstkasteiung, eine Frau, die sich alles beschnitten hat (oder der alles beschnitten wurde) bis auf das, was nicht zu zerstören war, dieser harten Überlebensintelligenz. Und aus der Härte, so schien mir, aus der Fähigkeit, sich reduzieren können, bezieht sie ihre Stärke.
Frauen mit Magersucht, so las ich oft schon, beschreiben ähnliche Gefühlszustände.
Tja, da müssen wir… zwangsläufig aneinander vorbei reden. Ich habe nämlich den Film nicht gesehen, leider 😉 Aber das, was Sie hier erzählen, macht mich auf jeden Fall neugierig.