Er ist ja nicht ohne Reiz, der Gedanke, es könnte Orte geben, wo Mann sich auch mal ungestraft dem Größenwahn hingeben kann. Öffentlich hat er ja kaum Möglichkeiten, seine private parts zu preisen – so wie ein Schlafloser heut’ Nacht hier auf TT – ohne sich als Maniac zu outen. (wenn ich was definitiv n i c h t brauche, ist’s ein virtueller, übrigens)
Doch wen wundert’s, dass sein Gesang so ungekonnt ist? Wo soll er denn üben? Oder wo kann er, wie Brossman >>> hier in anderem Zusammenhang (doch vielleicht gar nicht so anderem) schrieb, Intensität mit den Weibspersonen „ironiefrei mit Herzblut und nichtsdestotrotz erheblicher Leichtigkeit“ praktizieren?
Dazu die Angst, nicht zu genügen. Des Möchtegern-Größenwahnsinnigen, meine ich. Also kauft man ein, zwei Flaschen Wein, wartet, bis alles schläft und keiner wacht, und haut dann mal kräftig auf die Pauke.
Mit dem Teil. Ho, hey, ho, und ’ne Buddel Rum.
Hören Sie, Schlafloser – Sie sind auf dem richtigen Weg. Nur den ganzen Alk und was sonst noch so an enthemmenden Konsumgütern rumliegt, das sollten Sie mal weglassen. Kandidaten, die nüchtern weibstoll sind, die findet das Weib toll. Besonders, weil’s mittels pointierter Ausdrucksweise einfach mehr zu gewinnen gibt.
Doch das nur nebenbei.
Oder sagen wir, vorab. Denn was Schlinkert heute Morgen anmerkte, zielt auch auf den Schlaflosen mit: „Ja, das ist die Frage, Sein oder Nichtsein. Künstlerisch, meine ich. An sich kann man natürlich aus jeder Haltung zum Leben künstlerisch Profit ziehen, doch dann muß man unter Umständen sein Leben lang den selben Schlager singen, weil alle schunkeln wollen. Ich denke, hier und da seinem Grundgefühl mal das Wasser abzugraben, ist wichtig, sonst bleibt man stecken. In sich selbst.“
Ich stimme zu. Wenn Wasser abgraben nicht impliziert, dass man es loswerden kann, das Grundgefühl. Kann man nämlich nicht, meiner Erfahrung nach. Man kann nur zusehen, dass man Form gewinnt. An den Punkt komme ich immer wieder … Form gewinnen. Der Zaghafte für seine Zaghaftigkeit, der Größenwahnsinnige für seinen Größenwahnsinn. Die Zornige für ihre Wut. Die Aggressive. Der Wehrlose. Die Angstbesetzte. Der Schwanzgesteuerte.
Ich will das nicht alles in einen Topf werfen. Also denke ich an das Bild dieser Malerin, die einen „Buckel macht, damit die Welt darauf herunterrutschen kann“, wie Ralf darunter formulierte. Abwehr. Um bei sich selbst bleiben zu können. Wenn man den Schubladen schon in Zukunft nicht würde entrinnen können, dann sollte es eine selbst gezimmerte sein. (Wer hätte ahnen können, wie lange das dauert? Und wie oft sie sich verwerfen und klemmen würde?)
Mein Grundgefühl war, mir selbst nicht genügen zu können. Nie waren es die „Anderen“, die mir das suggeriert haben; ich traf als Studentin auf weit mehr Wohlwollen und Anerkennung als viele der anderen Künstler:innen, die ich damals kannte. Nein, die Ablehnung produzierte ich mir selbst. Als Flucht nach vorn. Als würden ganze Heerscharen von Kritikern auf mich warten, gegen deren Boshaftigkeit ich mich nur wappnen konnte, indem ich selbst kein gutes Haar an mir ließ.
So.
Unnötig zu sagen, ich habe inzwischen ein paar Weichen gestellt.
Worauf wollte ich hinaus?
Auf Sie, glaube ich.
Uns. Was uns zum Laufen bringt. Was mich letztendlich zum Laufen brachte, war Trotz. Beharrlichkeit. (Nicht fremdes Lob, obwohl ich es extrem genieße, gewürdigt zu werden. Auch umschmeichelt. Was soll ich’s leugnen.) Nein, es war vor allem, in meinem Fall, die Abkehr von den nicht gut genug sein- Keulen: Nicht robust genug sein. Nicht klug genug, talentiert genug, angemessen genug, durchsetzungsfähig genug. Nicht klischeefrei genug. Genug genug genug genug genug genug. Genug. Genu. Gnu. (Allein, das Wort zwanzigmal zu wiederholen, macht es schon auf höchst angenehme Weise albern)
Oje, der Text wird zu lang. Alle behaupten ja, im Web muss man sich kurz fassen. Dabei war ich noch gar nicht bei der Pointe angelangt.
Das einmal sich erarbeitete Grundgefühl bleibt, da kann man nichts gegen tun, selbst wenn man es dummerweise versuchte. Gelegentlich aber mal einen Schritt zurückzutreten von seinem Werk (gilt nicht für die Erschaffer großer Denkmäler, wenn sie in großer Höhe auf dem Gerüst stehen) und dieses mit einem geliehenen, fremden Blick zu betrachten, kann helfen. Wobei? Beim Kritisieren, selbstverständlich. Auch Schiller schrieb Kritiken über seine eigenen Werke, wenn auch eher wohlwollend.
Zu früh sich festzulegen, und darauf zielte meine Anspielung auf den Schlager, kann heißen, eine Riesenchance zu versaubeuteln, kann aber auch die Grundlage für eine Weiterentwicklung sein, die einen selbst überrascht. Was wäre man nicht alles geworden und dann geblieben (das vor allem), hätte man auf andere gehört! Da muß man Züge auch mal ganz bewußt abfahren lassen, hartnäckig stehenbleiben, bis einem niemand mehr reinquatscht ins Künstler-Leben, auch wenn das dauert. Bis dahin hat man sich seine Draisine aber zusammengezimmert und -geschraubt, und dann geht’s los. Wohin? Sieht man doch!
Ein Phänomen und zwar eines, das ich nicht mochte, waren die Kollegen früher (es waren fast nie Frauen), die ständig verkündeten, wenn man dies oder jenes nicht JETZT unternähme, wäre “der Zug” abgefahren.
Der verdammte Zug! Eine der schlimmsten Bedrohungen, finde ich, ist, sich sein Gefühl für Zeitpunkte von anderen diktieren zu lassen, bevor man überhaupt eines entwickelt hat.
Wenn ich so darüber nachdenke, ist das sicher einer der Gründe, weshalb ich Lehrende geworden bin: um junge Leute dazu anzuregen, erstmal ein paar Gleise zu bauen, bevor sie auf anderer Leute Zug aufspringen.
Dieses Phänomen ist ja sogar institutionalisiert, nämlich wenn es ums BAföG geht. Schnell noch ein Studium beginnen, bevor man 30 (sic) ist, denn ab 31 ist man nicht mehr förderungswürdig, da hat man plötzlich keine förderungswürdige Zukunft mehr! Gab’s da nicht mal die Idee, daß jedem Menschen ein bestimmter Förderungsbetrag zusteht, wann immer er ihn abrufen will!?
Die Möglichkeit, auf anderer Leuts Züge aufzuspringen, ist für mich zum Glück irgendwann einfach verschwunden – das hat mich sehr erleichtert, denn damit hörte dieses Gequatsche derjenigen auf, die jetzt nur noch fragen: Was machste eigentlich den ganzen Tag?
@Norbert W. Schlinkert Die Frage ist fast genauso unbeliebt wie: “Was machen Sie denn für Kunst?”
Ihre Schlußzeile: “oh je, der Text wird zu lang …” hat mich nochmal (nachdem dies im Text selbst mehrfach geschah) heftig an den Schultern gerüttelt.
He Du, he du, he du … Ja, vielleicht wird der Text ja manchmal lang, aber wenn es der eigene ist, dann kommt wirklich die Pointe am Schluß und wie der Kreis der Mitleser am Ende des Textes aussieht, das sagt einem durchaus was über den Text UND die Mitleser. Eindringliche Parallelen entdecke ich, wenn ich an die Stelle des Begriffes “Text” den Begriff Leben setze. Die eigene Form fällt einem ja nicht zu, man meiselt täglich an ihr, je eigener die Form, desto kräftzehrender die Arbeit. Je kräftezehrender, desto passender wird die Form für unser SO SEIN, das am Grunde des Sees liegt, und dessen Umrisse man lange Zeit nur erahnen kann. Ich bin überzeugt, dass diese (wenigen) betörend schönen Alten, die mir im Laufe meines Lebens begegnet sind, genau das geschafft haben: sich in jene Form einzufinden – auf welchem Weg auch immer – in die ihr Schicksal sie von Anfang an hineingedacht hat.
Am Beispiel der Irrgänger lernt man nebenbei die wichtigsten Lektionen in und für diesen Prozess.
b.t.w.: ich fange wirklich an, Ihr Weblog zu lieben, Verehrteste.
@schreiben wie atmen Ja, die betörend schönen Alten, wenn man sie sieht, selten, zugegeben, sie scheinen tatsächlich immer jene zu sein, die mit sich selbst einig sind. Deckungsgleich, wie ich das immer nenne.
Danke übrigens, Ihr Kommentar macht mich glücklich.