Zehnter Brief. In dem L. von der schwarzen Dame berichtet.

K****, 28. Juni 2010

Lieber Doktor Sago,

ja, ich lebe noch. Jajajaja. Ganz bestimmt. Da, ich reiche Ihnen die Hand! Schade, dass Sie sie nicht sehen können. Ist das nicht unglaublich? Irgendwann heute Nachmittag (ich schlief, ich schlafe immer noch unentwegt!) hat mir jemand Finger und Zehennägel manikürt, ohne dass ich es bemerkt hätte. Und dazu diese merkwürdigen Zeichnungen auf den Handrücken. Was diese Leute sich nur denken, bin ich ein Osterei, das man einfach bemalt? Im Schlaf! Seien Sie versichert, lieber Doktor: was auch immer als nächstes geschieht, ich werde es wachend erleben. Und wenn ich mir eine dieser Disteln in den Rockbund schieben muss!
(Man verwendet die hier für die Haussträuße. Disteln. Höchst absonderlich.)
Nun denn. Als ich vorhin zu mir kam, lag ich rücklings auf den Diwan gestreckt, die Arme leicht vom Körper abgespreizt, meine Hände auf seidenen Kissen. (Diese Seide! Ich werde einige Ballen ausfliegen lassen, seien Sie dessen gewiss!)
Ich verstand zunächst nicht, wer mich so drapiert hatte, bis ich meine Füße sah: dort hatte man mir, um den Trocknungsprozess des Lackes nicht zu gefährden, kleine Stoffläppchen zwischen die Zehen geschoben.
Ach, sagen Sie doch nicht, das sei unwichtig, Doktor. Sie wissen doch, wie mir die Körperpflege viel, ja so viel bedeutet!
Und dann die Wunde. Sie ist verheilt. Ich spüre das. Von außen natürlich ist nichts zu erkennen, doch sie blutet nicht mehr, die Binde (ich lugte eben hinein) ist schneeweiß.
Es ist übrigens sehr hübsch, das Zeichen; ich habe es immer gerne aufblitzen sehen, wenn ich mich im Spiegel betrachtete, musste dazu nur ein wenig die Beine… Sie wissen schon. Ungefähr so:

Verzeihung, besser will es mir nicht gelingen. Da gibt es natürlich noch den Teil, der nicht in dem Plastikbeutelchen war. Jener, den es brauchte, es in mir zu befestigen. Sonst, nicht wahr, hätte ich es auch selbst entfernen können. Nicht, dass ich jemals daran gedacht hätte.

„Mein Morgenstern“, sagt er immer, wenn er es berührt. Ich höre seine Stimme auch hier. Auch wenn sie (zu meinem nicht gelinden Erstaunen) drei Wochen nach meiner „Flucht“ etwas leiser geworden ist.
Sehen Sie, Doktor, es gibt da etwas, das mich nicht loslässt. Das ich im Institut sah, bevor man mich in Narkose versetzte. Es
Ach Gott, wie spreche ich darüber.
Es lag da eine Dame.
In meinem Zimmer. Was ich von ihr erkennen konnte (das Laken hatte sie fast bis ans Kinn gezogen), war ein stilles, ebenholzdunkles Gesicht mit geschlossenen Lidern. Ich gestehe, ich war zunächst enerviert, dass kein Einzelzimmer für mich vorbereitet war, doch dann erweckte ihr Gesicht meine Neugier. Seit meiner Ankunft hatte ich nicht viele solcher Hautfarbe in der Stadt wahrgenommen.
„Don’t talk to her“ wies mich das Ross gleich beim Betreten des Zimmers an.
„Why, what’s the matter with her?“ flüsterte ich.
„She’s been through hell“ erwiderte das Ross in normaler Lautstärke. „The lady is patient from abroad, from G. She was purified. As little girl. “
Ich fürchtete, ihre Kasernenhofstimme könnte die schwarze Dame erschrecken, doch diese rührte sich nicht. Sie war sehr ruhig unter dem Laken und schmal wie ein Kind.
„Purified?“ fragte ich leise.
„That’s how they call it where she comes from.“
„And who are they?“
„The women with the blades.“
Da dämmerte es mir. Noch jetzt zieht mir die Schamesröte über die Wangen, wenn ich daran zurück denke. (Wie stumpf kann man sein, Doktor?) Ich hatte von diesen Dingen gehört; erst einige Tage vor meiner Abreise war mir ein Buch in die Hände gefallen, Sie wissen schon, eines von der Art, die das wirkliche Leben abbilden, doch ich legte es fort. Es handelte … davon. Muss man solche Dinge wissen, muss man Anteil nehmen? Oder überlässt man diese Frauen ihrem Schicksal?
(eben… die Katze ist wieder im Fenster!)
„The surgeon opened ..“ hub die Krankenschwester an.
„Would you please be discret“ unterbrach ich. Und schämte mich für sie.
Das Bett der dunkelhäutigen Dame stand nicht mehr im Zimmer, als ich aus meiner eigenen Narkose erwachte, nur der scharfe Duft des Desinfektionsmittels stand noch in der Luft. Was tun wir uns gegenseitig an? Und was tun wir, indem wir nichts tun.
Ach, Doktor. Wir Frauen. Oft sind es keine Laken, sondern Mühlsteine, unter denen wir liegen.

Oh, es klopft ! Einer der ewig unsichtbaren Bediensteten etwa?
Ich haste zur Tür (ach, wären doch Sie’s!)

Meine Grüße! Sie fliegen…
Ihre
L.

3 Gedanken zu „Zehnter Brief. In dem L. von der schwarzen Dame berichtet.

  1. Heiss durchweht es meinen Leib
    Vernehm ich hier von ihrem Leid
    Pulsierend wie ein Strahlenbündel
    Wär’n sie gern mein treues Mündel ?
    Voll von trieb-durchzog’nem Mute
    Kraft die stets was Gutes tut
    Zück’ ich’s Wort zu ihr’m entzücken
    Und lass’ hoffen – tut’s entrücken ?
    Ansporn ist mir ihre Not
    Ein fiebrig Zeichen ihr Gebot
    Und wenn’s nur schweigend sich geriert
    Durch Gesten sich mir offenbart !
    Was kann es bitte schöner geben ?
    Ich würd’ so gern mit ihnen leben.
    Und sei’s auch nur für eine Weil’
    Für einen Flügelschwung der Zeiten
    Bis grosse Taten folgen müssen !
    Fern eines nassdurchwirkten Laken
    Ach hör ich’s nicht – die Fremde ruft ?
    Oh dieses Zittern – neuer Duft
    Dem unbekannten Schicksal treu
    Hör ich das Rufen – ich ihr’n Schrei ?
    Komm rett mich fremder Bursch du schöner
    Hilf mir raus aus dieser Pein
    Ich würd’ so gern ja liebstes L. –
    Ich würd’ so gern bei Ihnen sein !

    • Ja aber umso grösser scheint sie mir
      Die Sehnsucht nach des Sago Lago
      Fast G’stad’ von analytisch’ G’spür’
      Dann taucht sie ein – ein munt’rer Fisch !
      Und zeigt ihm alles – nass wie frisch
      Die Bläslein voller prickelnd Zier
      Ach wär ich doch so grad bei ihr
      Und nicht nur Sehnsucht nach dem Sago
      Vor diesem tiefen blauen Lago

      *gerührt und ab*

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