Nachts

Es ist ruhig hier. Die Vorhänge bewegen sich ein bisschen in der Heizungsluft, die hinter ihnen aufsteigt. Ich darf mit einem weichen Schal um die Schultern sitzen, meinen Globus betrachten, während andere in diesem Moment sterben, an Cholera, Krieg, Hitze, Kälte, ersaufen in den Meeren auf dem Weg zu uns, und wieder andere den Pyjama anziehen und unter ihre Daunen steigen.
Die Kanzlerin erklärte gestern, Politik sei Handeln aufgrund der Informationen, die man habe, meistens seien das ausreichend Informationen, doch im Moment eher nicht. Die Situation ist außergewöhnlich, das sagte sie mehrmals mit ihrer sorgfältigen Stimme, sie ist außergewöhnlich, die Menschen haben das noch nicht in dem Maße realisiert, wie wir uns das wünschen. Sie denkt beim Sprechen nach, die Kanzlerin, man kann es an den Pausen hören.
Man werde einen Haufen Geld in Bildung investieren, heißt es weiter in den Nachrichten. Parallel zur Stimme des Sprechers wird das Bild einer mit Graffiti verschmierte Schultoilette eingeblendet. Geld für Bildung heißt anscheinend in der ARD, endlich wird die Graffiti übermalt. Diese tägliche Mischung aus Biederkeit und Grauen in den Nachrichten, sie scheint es nicht darauf anzulegen, irgendjemanden beim selbstständigen Denken zu unterstützen. Sie verstopft die Poren.

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