Ob man es einrichten könnte, einmal am Tag, sagen wir eine halbe Stunde, gänzlich ungeschönt zu sein? Schwer wäre das, und nur in formalisierter Weise überhaupt durchführbar.
Ich stelle mir das so vor: Man nimmt sich einen Zeitpunkt, meinetwegen vierzehn Uhr.
Und lässt alle Welt wissen, dass man zwischen vierzehn und vierzehn Uhr dreißig täglich alle Beschönigungen, die das soziale Gefüge erst möglich (aber eben manchmal auch irreal) machen, außer Kraft setzen wird.
Wenn Sie mich in diesem Zeitraum anrufen oder treffen, würde man verlautbaren, erleben Sie mich ohne Pufferzone.
Man würde, in dieser halben Stunde täglich, die Dinge beim Namen nennen. Ohne das Schmieröl der Höflichkeit. Ohne Rücksichtnahmen, weder auf sich selbst, noch auf andere.
Es wäre ein Angebot. Ich komme darauf, weil ich immer wieder feststelle, dass ich meine Urteile, meine Meinungen und Wahrnehmungsleistungen insgesamt gewöhnlich verändere, bevor ich sie anderen zugänglich mache. Ich will keine Steine ins Getriebe werfen. Irritationen vermeiden. Verletzungen ausschließen. Ich ahne allerdings, dass ich mich und andere damit auch der Bewegung beraube, die der reine Klang der Denkmaschine hervorrufen kann, wenn sie einmal nicht mit Dreifachlagen von Konzilianz abgepuffert ist.
Wie halten Sie es denn so mit dem Schönreden, liebe Leser?
Kunst für Kunst, ist mir das. Es gibt so viele Probleme in der Kommunikation… Wir adressieren sie durch allerlei Techniken, die – klar – auch als Indirektheit, Verfälschung uswusf. etikettiert werden können. Müssen sie aber nicht. Die reine, direkte Äusserung ist nämlich keine Kommunikation, weil der inkludierende Aspekt, das Ziel der Mitteilung fehlt. Den Urschrei, den unzivilisierten, vorsprachlichen Ausdrucke kann es als Kunst und in bestimmten Situationen geben. Solche Situationen herzustellen ist allemal interessant, sicher nicht leicht, weil es – wie Du auch schreibst – der Vorbereitung, also einiger “Vorrede” bedarf. Alltäglich wird es, der fruchtbaren Kommunikation zu Liebe, bei den mal mehr oder weniger und je Adressat individuell verfremdeten Mitteilungen bleiben.
Ich wollte nicht gleich zum Urschrei zurück. Obwohl ich den Begriff interessant finde, weil er als Modewort nur ein so kläglich kurzes Leben hatte, kaum ein paar Jahrzehnte, dann galt er schon als vergreist.
“Die reine, direkte Äußerung ist keine Kommunikation, da ihr der inkludierende Aspekt, das Ziel der Mitteilung fehlt”, schreibst du.
Sehe ich auch so. Nur dass in der indirekten, also gelenkten Mitteilung so oft, neben der Kommunikations- auch eine Manipulationsabsicht enthalten ist. “Nachtigall, ick hör dir trapsen”, sagte meine Großmutter gerne.
Worauf ich aber in meinem Beitrag hinauswollte, war eher das genehm machen, das den Anderen ins eigene Befinden hinein werben. Als Ausdruck einer sozialen Kompetenz, die aber auch ins allzu routinierte abrutschen kann. Gerade bei Selbstständigen, deren Lebensmodell eigentlich nur stabil bleibt, wenn sie ihre Strukturen ständig beobachten und pflegen.
Ich würde gerne näher an das heran kommen, was mich daran irritiert. Geht heute nicht, die Uhr tickt für einen Texterjob, den ich Mittwoch abgeben muss.