Ich kann es nicht glauben.

Madame Renee Michel, die Concierge in Muriel Barbery’s Roman “Die Eleganz des Igels”, ist eben gestorben. In meinem Bett. Vor acht Seiten hatte ich noch geglaubt, sie würde an der Seite des kultivierten japanischen Herrn glücklich werden, der sie aus der Reserve ihrer selbst gewählten Einsamkeit gelockt hatte. Und die zwölfjährige Paloma, aus deren Tagebucheintragungen der andere Teil des Romans besteht, würde die beiden zu ihren Wahleltern gemacht haben.
Nun ist sie überfahren worden. Bis eben wollte ich es nicht glauben. Der Moment, in dem Madame Renee auf der Straße stirbt, gehört zu den ungeziertesten und schönsten, die das Buch zu verschenken hat.
Sowas kann mir auch nur ein französischer Roman antun. Die Franzosen haben das Buch vielfach geehrt. Wegen der Concierge. Wegen des altklugen Kindes. Wegen der Hiebe auf das französische Großbürgertum. Nicht zuletzt bestimmt wegen der vielen übergewichtigen Katzen, die darin vorkommen. Und ein wenig, schätze ich, weil die Autorin, die zugleich studierte Philosophin ist, ihre (wie mir scheint, recht eigenwilligen) Ausflüge in ihr Fachgebiet immer so charmant zwischen Törtchen und Tee trinken packt, dass man als Leser gar nicht merkt, dass man etwas lernt.

Zwei Tagebücher, daraus besteht der Roman: Dem der vierundfünfzigjährigen Concierge, die ihren Scharfblick und ihre Bildung versteckt, um von der gehobenen Gesellschaftschicht, zu der sie nie gehören wird, in Frieden gelassen zu werden. Und dem einer überdurchschnittlich intelligenten zwölfjährigen, Paloma, die sich in ihrer eigenen hochherrschaftlichen Familie wie ein Mutant vorkommt.
Die Autorin, 1969 geboren, hat Philosophie studiert; man merkt es manchmal ein bisschen zu sehr, machmal tritt der gewichtige Inhalt die Sprache ein wenig platt. Doch die Idee, diese beiden Frauenfiguren, diese Tagebucheinträge gegeneinander zu setzen, gefällt mir, obwohl man meinen könnte, die Konstruktion sei sehr an den Haaren herbeigezogen. Auch die Sprache der weiblichen Hauptfiguren unterscheidet sich nicht, die über fünfzigjährige spricht genauso wie die zwölfjährige. Der übergroße Intellekt der beiden wird auch ständig, und unnötigerweise, akzentuiert. Egal. Künstlichkeit, stelle ich mal wieder fest, ist nicht unbedingt ein Manko. Das Buch liest sich, als sei es echt. Als habe Muriel Barbery Freude daran gehabt, es zu schreiben.
Ich kenne die Rue de Grenelle, in der “Die Eleganz des Igels” spielt. Ich war oft in in dieser Straße, wo die feinen Familien schon seit Generationen wohnen. Wenn ich nächstes Mal nach Paris komme, wird sie sich anders anfühlen.
Die Autorin übrigens, weit weniger sentimental an Paris gebandelt als ich, hat nach 600 000 verkauften Exemplaren wissen lassen, sie sei keine Person, die mit Ruhm umgehen könne, und ihren Wohnsitz nach Japan verlegt.

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