Kitsch, meine Gnädigste, Kitsch!

Vor einiger Zeit ging ich bei mir im Viertel an einem Buchantiquariat vorbei, in dessen Auslage mir ein paar fette Bände ins Auge fielen: Angelique von Anne Golon, in der Ausgabe von Blanvalet, die den Namen der Heldin in Schreibschrift kursiv auf dem Titel trägt. Diese Umschläge sind mir unvergesslich. Ich sage nur: Stadtbücherei.
Ich stoppte kurz, ging dann aber weiter, weil ich einen Freund an der Seite hatte, vor dem ich mich nicht blamieren wollte. (Na ja, sagen wir, ich wollte ihm keine spontane Regression erklären müssen an einem bis zu diesem Zeitpunkt ziemlich erwachsenen Tag.)

Gelesen habe ich Angelique und ihre kiloschweren Fortsetzungen mit vierzehn – vielleicht fünfzehn, bis ich durch war; die Abenteuer der schönen, klugen und unbeirrbar tapferen Titelheldin zur Zeit Ludwigs des IVX peppten mein beschauliches Leben als Schülerin auf. Ich vermute, in meinem Kreis bin ich die einzige, die am Altar der französischen Kitschkönigin gehuldigt hat. Warum leugnen? Frau Golon hat prima recherchiert, schreibt man, das Leben am Hofe, die gesellschaftlichen, politischen…
Mir egal. Ich hätte den Stoff auch verschlungen, wenn er fiktiv gewesen wäre. Die Sprache gediegen, verkitscht, gefährlich nahe am Schund, aber eben doch kein Schund. Frau Golon wusste, wie man so schreibt, dass die Konstruktion hinter der Glasur verschwindet. Mag sein, sie trug fliederfarbene Spitzenhandschuhe beim Schreiben, blöd war sie nicht : )

Raschelnde Seide, Intrigen, Sex, höfische Etikette, haufenweise Rituale. Bürgertum und Gaunerzunft, auch dort Rituale. Schiffe. Kutschen. Sklavenhandel. Angelique ist eine Heldin, die sich niemals Erwartungen beugt, die von anderen an sie herangetragen werden, niemals lange. Wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie das will, hebt sie den schönen Kopf, lässt die grünen Augen funkeln, entzieht sich. Nicht ohne Blessuren davonzutragen: Die Männer bestrafen sie für ihre rebellische Art, indem sie sich die Schöne immer wieder mit Gewalt „nehmen“. Ai ai ai.
Überhaupt, der Sex, es gibt viel davon, alle Varianten, und es ist nicht so, dass Angelique mit ihren zarten Gliedern nicht manchmal auch eine grobe, eine erzwungene Vereinigung zu schätzen wüsste.
Eine für heutige Zeiten unmögliche Frauenfigur ist das, die Protagonistin der Anne Golon, einerseits eigenwillig, mutig, selbst bestimmt und so weiter, andererseits wird man immer wieder Zeuge, wie sie fleht, wie sie angesichts harscher Männlichkeit in die Knie geht, „besiegt“ zu werden wünscht.
Das liest sich seltsam kontrastierend, schlimmer als altmodisch, zweifelhaft wie der in allen Regenbogenfarben schillernde Teller, der ganz hinten in der Glasvitrine steht, weil man ihn schön findet und dennoch in den Hintergrund verbannen muss, weil er nicht „echt“ ist wie die anderen Stücke.

Die Franzosen haben Angelique geliebt. Madame Golon gilt als eine der Mütter des historischen Romans und hatte mit ihren erotischen Schilderungen den Ruf einer Skandalösen. Achzig Millionen Bücher sind von ihr verkauft. Ich weiß, das will nichts heißen, die Leute kaufen den letzten Müll.

Ein paar Tage später war der gleiche Freund wieder dabei, inzwischen hatte ich mir ein Herz gefasst, trat über die Schwelle, kaufte fünf Bände a 500 Seiten Angelique zum Spottpreis von fünf Euro. (Oh, der Verlust des Glamour!)
Große, schwere Tüte. Der Freund trug sie mir ohne zu murren nach Hause.
„Was willst du damit?“
„Hab ich gelesen, als ich fünfzehn war“ erwiderte ich. „Vielleicht schau ich mal wieder rein. Obwohl es sein kann, dass es nicht mehr lesbar ist heutzutage.“
Er schlug eine Seite auf und las ein paar Zeilen laut vor. Sah mich an: „‚Nicht mehr lesbar’ könnte zutreffen.“
„Ja, ja, schon gut“

Dann…

les ich’s eben heimlich im Boudoir ; )

3 Gedanken zu „Kitsch, meine Gnädigste, Kitsch!

    • Ob hässlicher Graf oder lieblicher Stallbursche… mir war da jede Rolle recht. Und noch was zur Qualität der Bücher: Angelique hatte mehr Seiten als Hanni und Nanni, war expliziter als Karl May und Simmel kannt ich noch nicht…
      Ja. Rückblickend scheint es unvermeidlich, dass sie mir über den Weg lief…

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