Aus den Aufzeichnungen eines Kugelfischs

Jener Freund, der mir immer wieder verkündet, die Welt verändern zu wollen: Er meint das genau so. Erstaunlich. Unnötig zu erwähnen, dass es ihm recht wäre, wenn ich dabei mitmachte. Er gehört nicht zu jenen, die sich in der Rolle des einsamen Helden gefallen.
Warum, frage ich. Was soll dieser Impuls, gleich die ganze Welt? Warum so groß? Verlierst du da nicht den Blick fürs Detail?
Mag sein, raunzt er. Aber Kleinklein machen zu viele, bringt nichts.
Du meinst, wenn schon, muss man das ganze Ding ins Auge fassen, sage ich. Den Planeten.
Yes.
Nun muss erwähnt werden, dass dieser Freund die Welt tatsächlich bereits verändert hat. Er macht eine Menge Spuren, weithin sichtbare, er hat Werte geschaffen und beeinflusst, Laufbahnen ins Rollen gebracht, gelegentlich auch ausgebremst. Ein Angeber ist er nicht.
Ich schon. Ich zähle mich zur Gattung der Kugelfische. Wenn mich die Lust an der Prahlerei packt, beäuge ich, was gerade so in meinem Leben herumtreibt, Plankton von Handlungen, sauge ein paar Liter davon ein und blase mich auf zu beeindruckender Größe. Die hohe Kunst des Angebens besteht darin, auch scheinbar belanglosen Dingen Bedeutung verleihen zu können. Was ist schon eine Tat? Ein fast unmerkliches Zucken im Gesellschaftskörper. Erst durch die flankierenden kommunikativen Maßnahmen gewinnt sie ihr Format.
Sagt mir, ob ich mich irre 😉

Ich sehe mich also befreundet mit jemandem, der allen Ernstes ankündigt, wichtige Dinge tun zu wollen, im großen Maßstab und mit dem Anspruch, damit die Richtung zu verändern, die der Gesellschaftskörper einschlägt. Ich selbst beobachte eher, was im Detail geschieht und entscheide im Nachhinein, was ich als wichtig ansehe, weiter interpretiere, dokumentiere, verknüpfe – und was ich ins Vergessen absinken lasse.

Um es einmal anders zu sagen – jener Freund will bestimmen, welchen Abzweigung der Gesellschaftskörper nimmt, während ich sehr zufrieden damit bin, als lebende Lupe auf demselben herumzutasten und zu untersuchen, wo er am interessantesten aussieht. Wie ihr euch vorstellen könnt, haben wir nie den gleichen Maßstab. Weder im Sprechen noch im Handeln.

Ich mag keine ehrgeizigen Leute, bemerkt er zu einem anderen Zeitpunkt.
Was soll denn das nun schon wieder heißen?
Die Ehrgeizigen! stöhnt er. Die sind anstrengend. Mit denen hast du keine ruhige Minute. Wenn sie noch jung und am Aufsteigen sind, zappeln sie dir endlos am Bein. Sind sie älter und glauben, sie könnten es mit dir aufnehmen, versuchen sie, dich mit ihren Flitzegedanken einzuwickeln und alles zum Strahlen zu bringen, bis du vor lauter Großartigkeit Kopfschmerzen kriegst.
Wie sollte man denn stattdessen sein, deiner Meinung nach? frage ich. Zu deutlich klingt mir seine Aufforderung in den Ohren, DEN neuen deutschen Roman zu schreiben. Und dafür (das denkt er selbstverständlich gleich mit) den Preis zu bekommen, DEN Preis, am besten natürlich Nobel oder so was. Von wegen kein Ehrgeiz: Mich betreffend hat er sich da nie irgendwelche Hemmungen auferlegt. Mit einem mächtigen Hieb soll ich mich durch das Dickicht des Mainstream hauen, weit ausholend, Bedeutung schaffend, FOKUSSIERT und klug, mein Stahl runter bis ins Magma, während rechts und links meiner Schneide die Redundanz wegspritzt!
Himmel und Arsch, Phyllis, es gibt schon zu viel Plauderton auf der Welt! höre ich ihn rufen.
Sogar jetzt.
Ehrlich gesagt, glaube ich, er macht sich was vor. Einer der Gründe, weshalb mir immer die Synapsen so nervös anschwellen, wenn ich mit ihm zusammen bin, ist nämlich genau der: Dass es in seiner Welt immer nur um Wettbewerb geht.

Ich hab nichts gegen Wettbewerb. Meinetwegen. Wettbewerb treibt viele Leute zu dem an, was sie tun. Das Normalbenzin der Gesellschaft sozusagen. Verblüffend ist aber doch, wie viel Irritation man mit der einen Frage anrichten kann, der Kinderfrage: „Warum“?
Warum das Buch schreiben wollen, das alle anderen zu Makulatur macht?
Warum andere an Klugheit, Schönheit oder Macht übertreffen wollen? Was passiert denn, wenn man’s ‚geschafft’ hat? (Abgesehen von der ganz offensichtlichen Tatsache, dass man es natürlich nie schaffen kann?)
Was passiert andererseits, wenn man sich die Frage stellt, ob das eigene Handeln tatsächlich für den Lauf der Welt von Bedeutung ist?

Okay. Ich sag’s euch.

….Nee.

Hab’s mir anders überlegt.

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