Klar: wir mögen die Künstler relaxed. Ich könnte Ihnen aber auf die Schnelle zwei Dutzend aufzählen, die toll sind und kein bißchen faul. Ebensowenig wie Schriftsteller:innen, Tänzer:innen, Musiker:innen usw. Hat auch zunächst mal gar nichts damit zu tun, ob sie im üblichen Sinne erfolgreich sind oder nicht. Wenn Sie Tagebücher oder Briefwechsel lesen, werden Sie merken, es gibt eine ganze Reihe, die arbeitet tatsächlich wie Beamten (obwohl ich von Beamten definitiv wenig weiß) nach geregelten Zeiten, soundsoviele Stunden am Tag. Ob man es dann öffentlich verkündet, dieses eigene Pensum, ist natürlich eine andere Sache: So eine Schaffermentalität gilt ja schnell mal als uncool, da tun manche vielleicht lieber so, als fielen ihnen die ganzen schönen Ideen einfach zwischen Frühstücksei und Morgenschiss aus dem Gehirn.
Der hat dann natürlich mehr Flair, der genialische Wurf, da kann man als Rezipient einfach denken, mei, das würde ich auch gern können. Ohne sich der Vorstellung aussetzen zu müssen, dass künstlerische Produktion nur zu einem Bruchteil aus Talent und Inspiration besteht, und zum Hauptteil aus …. brrrr… Arbeit. Und zwar kontinuierlicher. Und manchmal auch ziemlich angespannter.
Faulheit macht ganz gewiss den schöneren Gesichtsausdruck, aber nicht die bessere Kunst! Sag’ ich. Eigenartig, wie unsympathisch das Bemühen, besonders das angestrengte, auf manche von Ihnen wirkt. Und wenn man sich schon verheizt, sollte man tunlichst vermeiden, es anderen unter die Nase zu reiben, weil man sich damit sofort zum Besserwisser macht. Niemand mag Besserwisser. Ich übrigens auch nicht.
Doch wir unterschätzen dabei, wie sehr sich die Entscheidung, die künstlerische Produktion zum Hauptanliegen des eigenen Lebens zu machen, auf die Persönlichkeitsstruktur auswirkt. Ich meine, die meisten Künstler können nur ziemlich mühsam von ihrer Arbeit leben, wenn überhaupt. Klar, niemand zwingt sie, welche zu werden, aber lassen wir dieses alberne Argument mal beiseite. (Stellen wir uns bloß nicht vor, wie langweilig und steril es ohne jene würde, die sich ihren Worten, Farben, Noten verschreiben – ohne jegliche Sicherheit, dafür irgendwann einmal wirtschaftliche oder soziale Anerkennung zu bekommen.) Wie viele davon Genies sind? Raten Sie mal. Wie viele davon sind auch nach dreißig Jahren an der Kante leben noch nett? Hm. Einige. Aber nicht alle. Nettsein ist einfach kein Kriterium. Man muss nicht freundlich sein, um gute Kunst zu machen. Auch wenn es für die Selbstvermarktung, zumindest bis man ein stabiles Netzwerk hat, durchaus nützlich sein kann. Ich hab schon Künstler kennen gelernt, gerade in meiner Londoner Zeit, die brachten ihr Lächeln routinierter an den Mann als jedes Hollywood-Starlet.
Worauf will ich hinaus?
Ich bin dafür, die Rezeption einer Arbeit nicht von Sympathie für ihren Urheber abhängig zu machen: wenn mir eine künstlerische Position etwas bedeutet, darf der Künstler, die Künstlerin ruhig ein Arschloch sein. Oder unzugänglich. Oder ein Streber. Oder ein total wunderbarer Mensch. Egal ist mir das nicht: ich will eigentlich immer viel wissen. Es gibt ja die andere Schule, die dafür plädiert, ein Kunstwerk solle unabhängig seiner Quelle wirken und wahrgenommen werden. Völlig legitim – ich interessiere mich trotzdem immer für die Persönlichkeit, die hinter einer Arbeit steht. Ich stelle einfach immer wieder fest, ich hab’ dann mehr Zugang. Ob jemand den Weg dorthin wie einen Schild vor sich her trägt oder sich für die lässige Geste gernhaben lässt – Arbeit ist es immer.
22:33
((off topic: Wo ist eigentlich sowieso abgeblieben?))
Auch zu dem (Ab-)Zweig des Kommentarbaums, auf den Sie hier Bezug (beamtete Künstler) nehmen, findet sich eine Ergänzung (zufällig?) oder ein Schlusspunkt (?) bei Georg Seeßlen: http://www.seesslen-blog.de/2011/07/03/aus-dem-lyrischen-gesamtwerk-von-edgar-p-kuchensucher-5/#more-1262
Volltreffer (Anm.: die Anm. merkt ausschl. pers. Betroffenheit an)
@MelusineB Großartiger Link, vor allem, weil er zu einem Text führt, der mich vollkommen verwirrt! ; )
Warum wird denn jetzt auf den Beamten rumgehackt. Wir haben doch eben erst die Kleinbürger kleingekriegt 😉
@Norbert W. Schlinkert Na ja, wo gehackt wird, fallen halt nicht nur Kleinbürger ; )
@Phyllis Wer wird denn als nächstes geschreddert? Vielleicht westberliner Busfahrer — die hätten doch wohl auch ein polemisches Gedicht verdient. Also: Dichter an die Front und in die Gräben, es gibt was zu tun 😉
Also Dichter sind immer für die Busfahrer, für die Verwaltungsangestellte und für die Bäckerinnen.
Nur elitäre sind gegen sie, allerdings, die wissen noch nicht einmal warum, oder doch? Vielleicht ja wegen kleinbürgerlicher Vorurteile.
@Schlinkert Ich verstehe die Gedichte (vor allem in der Abfolge) ganz anders: Der Beamte wird doch durch die Existenzphilosophie (bzw. die Existenzphilosophen) wieder voll ins Recht gesetzt ;-). Gehackt wird also nicht der Beamte respektive die Beamtin, sondern der philosophische Existenzparasit, der sich ins Knie f***** soll. Ganz genau.
@MelusineB Ach so! Der Beamte respektive die Beamtin kommt also quasi zurück in die Schublade und wird sauber in den Akt ‘Nichtveröffentlichtes’ eingeheftet, Ordnung muß sein, worauf dann der philosophische Existenzparasit kleingemacht wird. Jetzt, wo sie’s sagen, fällt’s mir auch auf. Bin eben lyrischer Laie und schaffe selbst kaum mal ein Schafsgedicht 😉
Tja, auch die Schafsgedichtdichter fallen eben nicht vom Himmel!
*prust*
Doch wenn, dann weich! Die armen Schafe 😉 *proust*
Hey, Sie sind ja heute richtig gut aufgelegt! Aber verlieren Sie bloß nicht zuviel Zeit – Sie wissen, die Suche kann sich über Tausende von Seiten hinziehen…
@ Hanfexperte Meine bekanntermaßen bescheidene Dichtkunst jedenfalls ist allen gewidmet, die sich hierher verirren: vor allem den Schafen. Gleich danach den elitären Busfahrern und den bescheidenenen Existenzphilosophen. Und auch den Bäckerinnen, allerdings nur, wenn sie gute Croissants backen: so viel Bevorzugung darf sein.
Ich muß jetzt gleich los, in dieses fürchterliche Städtchen am Berliner Rand, und da gibt’s dann Tee und Kekse, womit das Problem, wenn es denn überhaupt eins war, schon gelöst ist. So viele Seiten muß man da garnicht machen …
Noch heute kann ich mich an das Gefühl erinnern, welches vor einigen Jahren entstand, als ich zum ersten Mal eine “Könntest du mir eben mal …” – Anfrage mit der Weigerung “Nein, ich arbeite” beantwortete. Dies, obwohl der, dem ich meine Hilfe verweigerte, sehen konnte, dass ich “nur” schrieb. Es war kein gutes Gefühl, aber auch kein schlechtes.
Tage später begriff ich, dass ich mit dieser Weigerung zum ersten Mal meine selbst gewählte Lebensform anerkannt hatte.
@schreiben wie atmen Ja, das dauert eine Weile, bis man “frech” genug ist zu sagen, daß man arbeitet. Kein Mensch käme auf die Idee, jemanden im Büro anzurufen und ihn zu bitten, mal eben alles liegen zu lassen. Ich stelle zum Beispiel die Türklingel ab und ziehe den Telefonstecker, wenn ich arbeite, was dann wieder den Vorteil hat, daß die Leute wissen, sie stören nicht, wenn sie mich antreffen oder mich erreichen. Das wird inzwischen allgemein akzeptiert, völlig jenseits von Diskussionen, wie viel ich arbeite, ob das einen Sinn macht und so weiter. Man muß nur hartnäckig bei seiner Sache bleiben, denn wie wollte jemand ernstgenommen werden, der sich nicht selbst in seinem Tun ernstnimmt.
@Schreiben wie Atmen Das “Kapital”, das Freischaffende jeder Couleur neben ihrem Talent haben, ist selbstbestimmte Zeit, und die verwenden die meisten, die ich kenne, entgegen jeglischem Klischee zum Arbeiten. Selbst wenn das nach Außen nicht immer ersichtlich ist. Auch beim Lesen und Sinnen und dabei die Füße hoch legen werden ja Denkprozesse am Laufen gehalten: im Hintergrund, sozusagen.
Ich hab’ auch Jahre gebraucht, bis ich mir anderen gegenüber zugestehen konnte, nicht verfügbar zu sein. Bücher zu schreiben hat den ungeheuren Vorteil, dass es Jahre dauert…. und während dieser Jahre kann sich eine eigentlich ohne schlechtes Gewissen zurückziehen, wenn ihr danach zumute ist; das wird jeder verstehen.
Hinter manch ablehnender Haltung gegenüber künstlerischer Arbeit (oder genauer: der Künstler:innen) vermute ich die als schier unbewältigbar erlebte eigene Demütigung durch Zwangsarbeit (= Zwang zur Erwerbsarbeit). Es gibt tatsächlich Menschen, die sich als Künstler der allgemeinen Wahnvorstellung von einer “Leistungsgesellschaft” beharrlich entziehen – dafür zahlen die meisten von ihnen einen hohen persönlichen Preis. Es gibt aber auch einige, die allein aus dem künstlerisch Tätigsein alle Befriedigung und Freiheit dieser Welt beziehen. Die paar wenigen müssen verrückt sein in der Vorstellung der Krümelfinder (die Kuchen wurden bereits von anderen gesucht und gegessen), denn so hat das der Leitgedanke der Leistungsgesellschaft nicht vorgesehen.
Diesen Krümelfindern sei folgender Gedankengang zur Durchwanderung gewiesen:
Was braucht der Mensch, um arbeiten zu können? Richtig, ein Einkommen. Die meisten Menschen aber kommen zur Arbeit, um zu diesem Einkommen zu kommen und kommen so nicht mehr zu ihrer Arbeit. Künstler arbeiten auch, wer wollte das ernsthaft bezweifeln. Sie arbeiten allerdings selbstbestimmt und ohne Umweg. Aus diesem Lebensstil Freude und Erfüllung beziehen zu können und es noch dazu öffentlich nachvollziehbar zu machen, das sitzt als Stachel tief im Fleisch der sich als gedemütigt empfindenden Zwangsarbeiter.
@Kienspan. Aber jeder dieser “Zwangsarbeiter” hat die Wahl; die wenigsten sind also tatsächlich welche. Sondern es geht um das, was einem wert ist, was einem Wert ist. Wir können uns, jedenfalls im Westen und anders als wirkliche Zwangsarbeiter, die gewaltsam gezwungen werden, entscheiden. Für Entscheidungen, immer, zahlt man.
(Bin jetzt >>>> zur Oper weg.)
@ANH Ich hatte leider die Anführungszeichen beim letzten “Zwangsarbeiter” vergessen.
Was die Wahlmöglichkeit dieser “Zwangsarbeiter” betrifft, bleibe ich in meiner Einschätzung eher zurückhaltend. In der kapitalgetriebenen westlichen Gesellschaft ist monetäre Ver-Wert-barkeit zum höchsten aller Werte phantasiert. Arbeit wird nur dann Wert zugebilligt, wenn daraus Mehr-Wert zu erzielen ist. Wer sich dem durch ein abweichendes Wertegefüge bedingt entzieht, indem er andere, vom Geld nicht anerkannte Arbeit vollbringt, wird keineswegs mit Waffengewalt ins System gezwungen – da haben Sie recht. Es wird jenem lediglich die Lebensgrundlage (= ausreichende Kaufkraft) vorenthalten.
Anführungszeichen vergessen und am besten noch über diesen kleinen Fehler gelacht.
Zwangsarbeiter, hat jemandausgerechnet, wieviel Zwangsarbeiter es während der Naziherrschaft gab?
>>> Zwangsarbeit in der Zeit des Nationalsozialismus
@Kienspan Dass Ihnen etwas vorenthalten wird impliziert, dass Sie auf dieses Etwas einen Anspruch haben. Darf man Fragen, worauf sich dieser Anspruch begründet?
@Walker Ich werde auf die Frage gelegentlich zurückkommen (wenn sie dann zum Beitragsthema passt).
@Kienspan Da bin ich auf Ihrer Seite. Diese Diskussion wäre wohl eine längere und würde Miss TTs Weblog zum wiederholten Mal hijacken. Und das mag sie ja, durchaus nachvollziehbar, nicht.
Stimmt. Danke für Ihre Einfühlnahme. (Moment, muss eben mal schauen, ob es dieses Wort überhaupt gibt ….)
Yep.
Gibt’s.