Aus dem Gehäuse

Die Frauen kommen, Stipendiatinnen der Stiftung. Manche verschleiert.
»Es ist keiner außer uns im Haus, niemand wird hier hereinkommen« sage ich.
Da nehmen sie die Schleier ab. Wir sitzen um den großen Tisch, an Wochentagen arbeitet hier das Team der Crespo Stiftung, jetzt, über Ostern, ist alles frei geräumt für uns.
Kaffeemaschine läuft, der Caterer hat Obst und Kekse geliefert. Vor uns Blöcke und Stifte, keine der Frauen besitzt ein Laptop, also hab’ auch ich meines zu Hause gelassen.
Es sieht alles so harmlos aus: Papageientulpenstrauß auf dem Tisch, Post-it Blöckchen, Büroklammern. Ein Flipchart. Saubere, leserlich beschriftete Ordner, ein paar Fotos auf der Pinwand. Die Stühle sind alle rot, das gleiche Rot wie die Schalen für Kleinutensilien, die überall herumstehen. Ein freundliches Büro.
Dann die Worte. Die aus den Frauen herauswollen. Die leichten kullern flott über den Tisch, aber um die geht’s nicht, es geht um jene, die schon zu lange in verschlossenen Kammern warten. Die Schicksalsgeschichten, Flucht, Gewalt, Isolation. Nun sollen sie raus. Rauslassen ist das große Wort in dieser Gruppe. Aber wie? Und was, wenn man den Druck zurückliegender Ereignisse wieder weckt beim Schreiben, wenn die Kraft nicht ausreicht, das fehlende Vokabular einem wütende Tränen in die Augen schießen lässt? Diese Frauen sind erfahren und klug. Es tut weh, so zu sein und nur einen Bruchteil dessen, wer man i s t, nach außen bringen zu können. In ein paar Jahren werden sie es können, doch das ist im Augenblick kein Trost. Ich wünsche mir einen Zauberschlüssel. Vielleicht habe ich einen, denn sie fangen an. Ich liebe sie für jeden Satz, den sie schreiben. Ist mir verdammt egal, wie kitschig das klingt.
Sie merken, Leser, ich bin erschöpft, hab vor lauter Sprechen keine guten Sätze mehr übrig heute Nacht.

3 Gedanken zu „Aus dem Gehäuse

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