Kampfschrift für die Verzärtelung

An der Lehne der bemoosten Bank, mit Blick auf die grasenden Gänse: Liegestütz. Enge und weite. Auch einbeinige Kniebeugen. (Und zwei Runden Dips. Trizeps, gegen Winkeflügel) Bei den Kniebeugen zickt das linke. Hab’ bestimmt mal erwähnt, dass ich ihnen Namen gab, das linke heißt (… sag’ ich nicht) nachdem es nach den Operationen die alte Kraft nie zurückbekam; da kann ich trainieren, so viel ich will. Der Nerv. (don’t brood over your handicaps, phy, you’re not a damned golfer)
Grüne Hände, wenn ich vom Park komme. Riechen nach Erde und Moos.
Es ist wichtig, sich mit dem Draußen, dem Anderen, zu vermischen, aber nicht leicht: Abwehr und Anziehung, wenn gleich stark, bringen die Stasis. Wie zwischen Glasscheiben gepresst. >>> Den Zustand kenn’ ich.
Lese gerade ein Buch. Na, lachen Sie nicht, ich lese ständig Bücher, nur schreib’ ich selten davon. Über Leseerfahrungen zu schreiben ist intimer als Sex. Dann lieber vom Sex. Aber nicht heute. Heute lieber eine Kampfschrift für die Verweichlichung. So tendenziell. Für Disziplin und Durchsetzungskraft muss man keine Lanze mehr brechen, die Auslagen der Buchhandlungen biegen sich ja jetzt schon.
Wenn ich mir so mein Bett anschaue, die vielen Kissen gefüllt mit unterschiedlichsten Materialien, um jeder Liegelaune gerecht zu werden, perfektes Leselicht, Tischen nahbei, überquellend Utensilien zur Pflege von Gesicht und Gemüt –
(Was denn nu’: Willste Härte oder Komfortzone, Schätzchen?)
(Beides)
(Pass’ nur auf, dass du nicht zwischen den beiden vergammelst)
(Physisch? Nö)
(Intellektuell: Ohne Extreme, immer schön auf der Mitte bleiben, da passiert das schneller, als du piep sagen kannst)
(Idiot)

Weitermachen im All:täglichen. Jetzt!! Einsatz! Ab zu den Gänsen und danach die Voodo-Liste abarbeiten!
Ins Atelier geht’s erst morgen. Heute erst einmal Stiftungs-Website, redaktioneller Text. Rührei. Vorbereitungen für ein kleines Seminar am Wochenende. Buchhaltung drittes Quartal. (Grrr)
Eine verzärtelte Katze um mich herum zu haben wäre toll. (Falls jemand eine übrig hat)

Farah Days Tagebuch, 2

Montag, 29. Oktober 2012

Ich glaub’ ich brauch’ Anschaulichkeit nicht so sehr / folge beim Schreiben dem Gefühl von Geschwindigkeit / Schnelle Sprache langsame / Zu- und Abnahme / Schübe / Es ist gar nicht so daß ich Sprache zugunsten einer bestimmten Idee gebrauche / mißbrauche / sie abstrakter chaotischer härter machen möchte / will nur erkennen was sie für mich ist / Persönlich / W a s sie ist nicht wie sie ist / Bemüh’ mich nicht um Verständlichkeit schließe sie nicht aus / spüre mein Sprachreservoir auf unter dem Denken /

Das Reservoir der Ort von dem ich immer spreche / der ungeklärten Prioritäten wo nicht klar ist wer wen benutzt / Ich die Sprache oder sie mich /

Wo die Frage Was Geht manchmal das intuitive Wissen und manchmal die Logik aktiviert und manchmal beide / Wie denke ich / Was hab’ ich für Mittel das rauszukriegen / An der Hand / Begebe mich in eine neutrale Zone [versuch’s] in der Über-Ich nicht automatisch die Vorherrschaft hat / um die Ratio zu reduzieren / sie mit Vorgaben von denen ich bewußt nichts weiß zu kreuzen /
Weswegen ich kluges Denken übelnehme / so wenige neue Variable / Oder wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit aus der Kreuzung zweier vernünftiger Gedankenstränge etwas Ungeahntes entstehen zu lassen / Neues / Grenzgängerisches / Andersartiges /
Wenn ich mich aber viel mehr daFÜR interessiere als für Inhalt muß ich ihm doch keine Zugeständnisse machen / mich seinetwillen funktionalisieren / kann doch mischen / Kann ich sagen Mein Denken besteht aus vielen übereinandergelagerten Schichten die oberen folgen den Regeln der Logik / sind eigentlich gar nicht Ausdruck meiner Person sondern fast Allgemeingut da diese Ebene von allen geteilt werden kann / da für jeden nachvollziehbar / Das sind die die ich normalerweise in Benutzung hab’ /

Kein Wunder daß es mir oft so schwerfällt damit zu arbeiten
[scheint mir einfach nicht von Belang eine Idee zu verfolgen auf die doch jeder andere auch hätte kommen können]

Die mittleren Schichten sind die auf denen sich die Kunst abspielt / Fast-Individualität / die Impulse zieht man sich von unten die Vermittlung von oben und schafft daraus ein Halbwerk / Eine Mischung die aber immer noch den Kriterien der Vermittelbarkeit verpflichtet ist / was nicht immer gelingt wenn der Anteil der unteren Schichten zu stark war / was dann enttäuschend ist weil man doch zumindest anteilig auch mit vermeintlich allgemeingültigen Regeln gearbeitet hat / vielleicht feststellen muß daß man trotzdem nicht dazugehört /
Die untersten Schichten sind die auf denen Bewusstgelerntes nichts gilt / Das Reservoir / Wo man sich kaum mehr auskennt weil man selbst das Vergessen vergessen hat / Alles was oben keinen Platz findet weil die Gelegenheiten es zu benutzen sich nicht ergeben sinkt auf die / Da wohnt der Text / würde er wohnen bleiben wenn er wirklich gut wäre / Natürlich ist er jetzt da er aufgetaucht ist [aufgebraucht] / sich im Kontext des öffentlich Rezipierbaren befindet schon nicht mehr richtig gut / die Maßstäbe passen halt nicht mehr [haben nie gepasst] / aber das muß ich für mich behalten /

Farah Days Tagebuch, 1

Samstag, 27. Oktober 2012

Ich bin ein Rezeptionsmonster: Ich habe kein eigenes Haus. Ich höre immer den anderen zu.
Ich weiß nicht, was „Gespräch“ ist, was „Gespräch“ für andere bedeutet. Warum scheint es ihnen keine Mühe zu machen? Wie schaffen sie es, nicht auseinanderzufallen, wie können sie mit mehreren Leuten gleichzeitig kommunizieren? Wie können sie in Anwesenheit anderer bei sich bleiben? Ich kann das nicht. Der Andrang von Daten ist viel zu groß, und das bißchen Selbst, das ich für mich beanspruche, hält keinem Gespräch stand. Ich sitze dabei und verrechne mich mit der Summe dessen, was gesagt, gezeigt, gestikuliert wird. Ich habe nie das Gefühl, etwas beeinflussen zu können, denn ich wiege nichts, ich bin durchlässig, ich bin viele. Ein lebendes Meßinstrument. Ich kann nie einem Inhalt folgen, weil ich ständig damit beschäftigt bin, mich in das Gesagte hinein zu multiplizieren, kleine, verläßliche Knötchen in diesem Fluß zu erzeugen, aus denen ich etwas Haftung ableiten könnte. Wenn, wenn. Es gelingt mir nicht, weil sich die anderen auf einer verschobenen Ebene befinden. Ich suche meinen Weg innerhalb einer Welt mikroskopisch kleiner Differenzen, während sie sich über S a c h e n unterhalten!
Natürlich kann ich kaum jemals etwas sagen. Ich kann einfach die Idee von Miteinandersprechens nicht richtig begreifen. Ich bin immer völlig nervös. Wer sprechen will, braucht einen einigermaßen stabilen Status, vor sich selbst. Ich verändere meinen Status mit jedem neuen Wort, das gesprochen wird, mit jeder Geste, jedem Blickaustausch, der mich involviert und auch mit jedem, an dem ich nicht beteiligt bin. Das Gespräch machte mit mir, was es will. Das ist mein Beitrag. Ich weiß nicht, wie Austausch funktioniert.
Ich habe nichts zum Tauschen, weil ich von der Anstrengung, alle meine Wahrnehmungen miteinander ins Verhältnis bringen zu wollen, völlig absorbiert bin. Ich muß mich um all die unterschwelligen Psychokreise kümmern, Unstimmigkeiten und Signale deuten, meinen Status ständig aktualisieren, meine Körperhaltung auf die Gesamtsumme der anderen Körperhaltungen einstellen, überall Löcher flicken, wo ein gesprochener Satz meines Erachtens mit dem darauffolgenden nicht richtig zusammenpasst, ich tu’ das mit mir selbst und innerhalb meiner eigenen Skalen, ohne daß dieses von Außen ersichtlich würde, doch ich übernehme Verantwortung für alles. Ich bin der Transmitter für das Gruppenbewußtsein, nein, mehr als das, ich korrigiere die Daten, die durch mich hindurchfliessen, bis sie meinem Empfinden für Symmetrie, Realität, Gerechtigkeit entsprechen.

Leuchttraining

Wer nicht aufgepickt werden will, tut gut daran, sich beizeiten in einen Glühwurm zu verwandeln.

Morgen, allerseits!
Bin gerüstet für den letzten Tag meiner Workshopwoche : )

Und nächste Woche geht’s ins Atelier!!!!!!!!!!!!!!!!!

Die Sprache der Anderen, 44

Und hier wieder mal eine Lektion in Halbstarkdeutsch, geschätzte Leser:innen! : )

Schlecht und abwertend: “Du Opfer”, “Du Knecht”, “Du Lutscher”, “Du Fisch”.
Schlecht, aber liebevoll: “Du Pico”. (“Bezieht sich das “pico” auf einen bestimmten Körperteil…?” fragte ich. “Nö”, informierte man mich. “Nur so allgemein.”)

Gut für Kerle: “Du Gigo!”
Gut für Mädchen: “Chick”.
Abwertend für Mädchen/Schlampe: “Chaya”.

Gut, allgemein: Etwas ist “baba”. (“Aber das ist doch einfach das Wort für ‘Vater’, sagte ich. “Ja, schon”, erklärten die Jungs, “aber es heißt auch einfach, dass etwas gut ist.”)
Gut, gesteigert: Etwas ist “stabil”, “killer”, “fett”.

TT fights wayne.

Wissen Sie, wie im Schüler:innenslang „egal“ heißt?
„Wayne“.
Muss heute noch einmal nachfragen, woher das kommt. (Film? Computerspiel? Sitcom? Wahrscheinlich wissen sie’s nicht)
Hab’ mal wieder ’ne Rasselbande diese Woche. Na, eher ’ne Schepperbande. Hauptsächlich Jungs, alle zwischen sechzehn und zweiundzwanzig. Mit Sixpacks. Im Ernst, ich hab’ sie gezeigt bekommen. Die Jungs haben Sixpacks, die Mädels Lippenpiercings und pinkfarbene Strähnen.
Wir sind gut drauf im Freestyle-Zimmer des Weltkulturen Museum und Schreiben ist wayne. Nach gestern weiß ich, ich muss heute in meine Spezialtrickkiste greifen, um das wayne zu vertreiben: so wie fast immer, wenn der Jungsanteil einer Gruppe über siebzig Prozent beträgt. Wie einen Sack Flöhe hüten.
Die Hüterin aber ist müde. Sie zeigt es natürlich nicht. Die kids, schließlich, können nichts dafür, dass die Hüterin momentan lieber selbst gehütet werden würde. Was nicht sehr wahrscheinlich ist. Also sitzt sie noch ein Weilchen in ihrem wirklich riesigen, bodenlangen Plüschmorgenmantel am Schreibtisch und sinnt vor sich hin. Ganz leise und ganz unwayne.

Guten Morgen.