Farah Days Tagebuch, 8

Donnerstag, 13. Dezember 2012

Ich weiß, wie man zahlt
wie es ist, bezahlen zu wollen
es sich so richtig zu geben
immer darauf gefasst, geradezustehen
für die Freiheit, die man sich nimmt
man handelt mit dem Bauch
und bezahlt mit dem Bauch

So ein Verhalten,
sage ich, ist rein mechanisch
wer mehr leidet kann nicht belangt werden
so ist es doch
wie ein Vorhang
hinter dem man herauslugt und piept,
hab’ mich schon selbst bestraft
tu’ Du es nicht auch noch

– Aber wie geht es,
fragt Suri,
wie entmustert man sich
– Alles ist möglich,
sage ich
aber
manche Möglichkeiten nimmt man die ganze Zeit wahr
die Kanäle sind ganz weit und ausgeschwemmt
die anderen sind nur klitzekleine Schlitze in der Realität
und
… wwusch
fließt die Absicht wieder durch das Weite
obwohl die Schlitze ebenso real sind
es ist nur viel schwerer
(Ich weiß nicht, wie man es macht)
(Berg weiß es auch nicht)
– Du weißt es nicht?
Es gibt aber Beispiele
sage ich

Zwei Gesichter

In dem Workshop, den ich gerade gebe, macht jede Teilnehmerin am Schluss ein Buch mit ihren eigenen Texten drin. Der jeweils wichtigste Satz wird in der Bleisatzwerkstatt von Hand gesetzt. Aufregender Moment für eine Siebzehnjährige, wenn eine persönliche Aussage plötzlich Gewicht bekommt! Nix mit Twitter – Buchseiten! : ) Das Mädchen, das die zwei Gesichter geschrieben und gesetzt hat, musste allen anderen ein Blatt für deren Buch schenken, so beliebt war der Satz in der Gruppe.
Etwas eigenhändig zu drucken, der unverwechselbare Duft der Farbe, das Geräusch der Druckerpresse – die Mädels geraten da ziemlich außer sich. Ich wünsche mir immer, ich könnte alle Schreibworkshops mit Jugendlichen mit so einer Druck- und Buchbindesession abschließen, doch besitzt nur einer meiner Auftraggeber die entsprechenden Werkstätten und Möglichkeiten. Fünfmal im Jahr bin ich in diesem Museum, seit fünfzehn Jahren. Die Schülerinnen, mit denen wir arbeiten, haben noch nicht viel Erfahrung damit, Worte in die Welt zu setzen, die auch gehört werden. Geschweige denn gelesen.
Ich muss los. Es ist mein letzter Kurs in diesem Jahr.

Die Kommune

befand sich auf dem Land. Man ging langsam im Kreis. Die Leute waren einfache Leute. Manchmal, wenn sie stehen blieben, berührten sich ihre Körper. Es gab keine Führungsfigur, zumindest keine, die als solche zu erkennen war. Vor ihr ging ein Mann, hinter ihr ebenfalls. Wo waren die Frauen?
Ohne Signal kam der Kreis erneut zum Stehen. Ihr Vormann wandte sich zu ihr um und sagte:
„Ich habe es gehasst, dass du da bist und dass ich körperlichen Kontakt mit dir hatte.“
Der Mann, der hinter ihr gegangen war, schaltete sich ein, rügte den anderen wegen seiner Grobheit, doch der wollte davon nichts hören. Er entfernte sich, ohne eine Erklärung abzugeben.

Sie nahm ihre Klamotten und ging zum Gruppenhaus, wollte sich einen Platz suchen dort. Drinnen saßen viele Menschen und meditierten. Alle sahen auf, als sie durch die Tür kam, doch niemand niemand rückte für sie beiseite. Sie spürte, dass sie nicht willkommen war und kehrte dem Haus den Rücken.
Draußen angekommen, beschloss sie zu fliegen. Über die Menschen hinwegzufliegen, ihnen zu zeigen, dass sie sie nicht nötig habe. Sie konzentrierte sich und hob schaukelnd vom Boden ab.
Sie kam drei, vielleicht vier Meter hoch. Das reichte, um Überblick zu bekommen und von den anderen gesehen zu werden, reichte aber nicht, um sich souverän zu fühlen. Sie hatte zwei Kissen unter die Arme geklemmt, eins rechts, eins links. Beim Abheben fragte sie sich, woher sie die plötzlich hatte.
Taumelnd schwebte sie über das Gelände. Die vertraute Genugtuung stellte sich ein, als sie die Menschen unter sich sah – wie immer war sie die einzige, die die Fähigkeit zu fliegen besaß. Sie wusste, wenn sie höher stiege, würde sie die Kontrolle verlieren. Sie konnte höher steigen! Sie konnte hoch fliegen wie ein Adler, und höher. Doch da war immer das Wissen, dass sie dann ins Grauenvolle abgetrieben würde. Und das war so wallend schwarz und vage, dass sie eine Heidenangst davor hatte, den Sichtkontakt zur Erde abreißen zu lassen. Wenn sie die Kontrolle verlöre, sich zu weit vom Vertrauten entfernte, würde sie im Himmel verloren gehen und nie wieder zu dem Ort zurückfinden, von dem sie gekommen war.

Löcher in die Luft

Noch zwei jeweils dreitägige Schreibworkshops, geschätzte Leser:innen, diese und nächste Woche einer, dazu die Stiftungswebsite, die ich redaktionell betreue und die ihre Besucher freundlich ins neue Jahr geleiten wird – so sieht die angewandte Seite meiner Arbeit im Dezember aus. Über die freie kann ich nichts sagen, die fühlt sich gerade an wie eine verrammelte Bretterbude in einer Geisterstadt in der Wüste. Bei Sandsturm. Mindestens.
Wird Zeit für Miss TT, den Fuß vom Gas zu nehmen.

Momentan, wenn keine Pflichten zu erledigen sind, schalten sich meine Systeme ab: ich höre auf zu denken. Müsste ich nicht gleich zu meiner neuen Schülerinnen-Gruppe, ich würde bestimmt drei Stunden einfach hier so weiter am meinem Schreibtisch sitzen mit meinem Wattekopf. (Guck’ keine Löcher in die Luft, höre ich manchmal die Stimme meiner Großmutter sagen)
Unglücklich sein macht im besten Fall erfinderisch, aber erschöpft sein macht, wie ich immer wieder an mir feststelle, trivial. Und konsumistisch. Ich mach’ dann nur noch Dinge, die schnelle Befriedigung bringen.
Was also tun? Mal sehen.
Vielleicht einfach bei nächster Gelegenheit das Jahr resümieren und loslassen. Und danach ganz große Löcher in die Luft gucken: so lange, bis sie zu sprechen beginnen.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Montag. Und geh’ jetzt mal ‘ne Runde Workshop halten : )