Die Sprache der Anderen, 30

(…) “Vom Garagentüftler zu Milliardär – ist das nicht die alte Formel des american way of life “Vom Tellerwäscher zum Millionär”. In ihrer Konsequenz läuft diese Idee darauf hin, dass die weniger Erfolgreichen, die in ihrem Leben Gescheiterten, selbst schuld sind an ihrem Unglück. Sie haben einfach nicht auf ihre innere Stimme gehört, den Kalligraphieunterricht geschwänzt, waren nicht begeistert und fleißig genug. Wir wissen, dass es anders ist, viele Leute sitzen im fremdverschuldeten Unglück, um ihre Ersparnisse betrogen, um ihren Arbeitsplatz, um die Teilhabe an unserer Gesellschaft. Sie sitzen mit leeren Händen in der Garage, und sie ist leer. Eventuell könnten sie dort Blumenbinden für die Rosenverkäufermafia, aber das wird ihnen nur dornige Finger bringen. Aber selbst, wenn sie aus Nichts etwas Geniales machen, es wird ihnen keiner abkaufen. Unsere Gesellschaft hat was Schichtung betrifft, ihre Durchlässigkeit verloren. Man mauert nach unten wie oben. Die unteren Schichten wollen nicht ihre besten Leute an die höhere Schicht verlieren, die von oben wollen keine Konkurrenz.” (…)

Trithemius in einem >>> Kommentar zu einem Beitrag über Steve Jobs, bei >>> Eugene Faust, 07.10.2011

24 Gedanken zu „Die Sprache der Anderen, 30

  1. Schon seltsam, daß zu diesem Text stundenlang niemand etwas zu sagen hatte. Ich selbst komme aber auch eben erst aus meiner proppevollen Garage (= Arbeitsplatz-Schreibtisch, eigener wohlgemerkt) zurück. Vielleicht sagt aber auch niemand etwas zu dem Gesagten, weil es schlicht stimmt – besonders das zur Schichtung unserer Gesellschaft Gesagte stimmt wohl leider, denn daß wohl kaum noch jemand von oben nach unten will (zum Schäferidyll oder hinein in die Arbeiterromantik) dürfte klar sein, wohingegen die unteren Schichten Abweichungen ihres Nachwuchses in Richtung Genialität sanktionieren, gemeinhin durch Liebesentzug und Totschweigen. Gibt es eigentlich ein Dazwischen, in dem sich die Abtrünnigen von Unten und Oben treffen können? Wenn ja, dann ist es wohl die Kunst im weiteren Sinne – was zu diskutieren wäre.

    • “wohingegen die unteren Schichten Abweichungen ihres Nachwuchses in Richtung Genialität sanktionieren, gemeinhin durch Liebesentzug und Totschweigen.”

      Manchmal ist Schweigen besser, besser als über etwas sprechen dass man gar nicht kennt.
      Wenn man Ihren Satz länger anschaut, wird er immer falscher.
      Dieses “ist” ist einfach ein Humbug, wenn nur einer aus ihrer sogenannten Unterschicht anders im Verhalten zu seinen Kindern ist, stimmt er schon nicht mehr.

      Und darauf man wetten, dass es in ihrer sogenannten Unterschicht, sicher lebendigeres, fantasievolleres und kreativeres geboren wird, als sie es sich denken können….

    • @Balz Da haben Sie mich aber, aus welchen Gründen auch immer, gründlich mißverstanden. Ich habe nichts Negatives über irgendwelche Schichten gesagt noch sagen wollen. Was aber die Sanktionierung des Nachwuchses in den Schichten betrifft, die man zumindest nicht als obere bezeichnen kann, wenn er allzusehr abweicht (also nicht nur Arzt oder Ingenieur werden will, sondern auch noch anders leben will als die Altvorderen), damit kenne ich mich bestens aus. Wenn Ausnahmen die Regeln bestätigen, umso besser, man sollte die Hoffnung nie aufgeben. (Ich schrieb übrigens nichts von Unterschicht, sondern von den unteren Schichten, die insgesamt wohl gut die Hälfte der Bevölkerung bilden, grob geschätzt.) Am wichtigsten in meinem kleinen Beitrag war mir aber ohnehin diese abschließende Bemerkung: Gibt es eigentlich ein Dazwischen, in dem sich die Abtrünnigen von Unten und Oben treffen können? Wenn ja, dann ist es wohl die Kunst im weiteren Sinne – was zu diskutieren wäre.

    • Ich könnte jetzt “Balz” fragen: welches “ist”?,
      lasse es aber lieber.

      @Schlinkert: Mir ist der Ausspruch in Arbeiterkreisen geläufig, dass die Nachkommen lediglich auf das selbe Ausbildungsniveau kommen sollen, wie die Erzeuger – im äußersten Falle eine Stufe höher. Der Grund dafür wird im sonst einsetzenden Abreißen der Verständigungsmöglichkeiten gesehen. So werden Lebenläufe flach gehalten. Die wirksamsten sozialen Barrieren werden von den unteren Schichten selbst errichtet.

      Ich glaube übrigens nicht, dass man sich unmittelbar in der Äußerung von Kunst begegnet, sondern in der Bewegung, die zu dieser führt. Manche schaffen es, diese Bewegungen kunstvoll zum Ausdruck zu bringen. Es ist, so meine ich, vielmehr eine Angelegenheit des Erkennens, die zur Begegnung öffnet. Gleichwohl räume ich ein, dass Künstler mit ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen und ihrer öffentlichen Sichtbarkeit Versammlungsräume gestalten – ob bewusst oder unbewusst, mag dahingestellt bleiben.

      Nachtrag: und eben überlegte ich, weshalb ich Herrn Schlinkert als “Schlinkert” anspreche und nicht als, zum Beispiel, “werter Schlinkert”. Das dürfte weniger mit ihm zu tun haben, als eher mit mir. Ich möchte darüber noch nachdenken.

    • Herr Kienspan: Es ist mir nicht im geringsten unangenehm (warum auch?), Ihnen vollkommen recht zu geben – Sie treffen sowohl mit dem zu den Arbeiterkreisen Gesagten den Punkt als auch mit dem zum Bereich Kunst Geäußerten. Ich bin ohnehin kein Verfechter allgemeiner Gleichheit, sondern baue eher auf faire Bedingungen und gerechte Verteilung des Vorhandenen. Das ist natürlich ein Gemeinplatz, soll es aber auch ausdrücklich sein.

    • @Norbert W. Schlinkert & Kienspan Ich fand Trithemius’ Bemerkung zum fehlenden Gleiten zwischen den Gesellschaftschichten bedenkenswert. Treffpunkte für die “Abtrünnigen” … hm .. ja, vielleicht die Kunst, bestimmt aber die Liebe in allen ihren Erscheinungsformen.

      “So werden die Lebensläufe flach gehalten” …

      – dagegen werde ich mich immer, und mit allem, wehren.

      (Bin denkmüde. Komme eben aus der Sauna. Unbekleidet und schweigend nebeneinander auf der Holzbank relativiert sich das ein wenig mit den gesellschaftlichen Hierarchien.
      Da fällt unverfrorenes über die eigenen sozialen Barrieren hinausdenken bekanntermaßen leicht.)

    • @Balz Norbert W. Schlinkert hat nur etwas formuliert, das auch ich aus meinem Freundeskreis kenne. Ein sehr begabter Freund, nein mehrere, mussten sich ganz massiv über die Wünsche ihrer Eltern hinwegsetzen, die allesamt dem “Schuster, bleib bei deinem Leisten” – Prinzip anhingen. Und zwar ziemlich aggressiv anhingen. Leider beschränkt sich dieses Prinzip auch nicht auf Eltern und ihre Sprösslinge.
      Wie auch immer, Sie haben da etwas aus Schlinkerts Kommentar herausgelesen, das für mein Empfinden mehr mit Ihren Erfahrungen zu tun hat als mit seiner Wortwahl. Ihm daraufhin gleich “Humbug” zuzurufen hilft der Gesprächsatmosphäre nicht sonderlich. *räusper*

  2. Trithemius trifft zielsicher ins Schwarze Ich habe noch eine weitere, ebenfalls wunderbare Zusammenfassung gefunden, die ich als Ergänzung hier anbringe:

  3. Ich weiß noch ganz genau, wie es sich für mich anfühlte, als meine Mutter das erste Mal zu mir sagte: “Du glaubst wohl, daß du was Besseres bist.” Ich war elf Jahre alt. Das Ende der Zeitspanne solcher Äußerungen meiner Mutter ist bis heute nicht abzusehen… sie neidet es allen vier Kindern, daß diese es wagten, aus der sozialen Schicht ausbrechen zu wollen, in die sie hineingeboren wurden. Jeder von uns tat das, auf seine Art und Weise, und schaffte es! Warum wir das schafften? Weil wir alle sehr früh ganz genau wußten, was wir in unserem zukünftigen Leben n i c h t haben wollen. Bisweilen steht ein jeder von uns da, stellt wieder die gleichen Fragen und zweifelt, weil die Wurzeln, die eine solche Determinierung schlägt, ganz tief gehen. Man muß den aus der Erde herausragenden Wurzelstock selbst abschneiden, die frische Wunde einkerben, und eine andere Gattung drauf setzen, sprich….. veredeln. Die Narbe der Veredelungsstelle bleibt…. was aber aus einem solchen Schmerz geboren wird, trennt vom Schein. Für immer.

    Meine Schwester arbeitet heute in einem integrativen (sozialer Brennpunkt) Kindergarten. Ihre Aussage ist die: “Ich möchte wenigstens über diesen Zeitraum von zwei, drei Jahren, den Kindern das Gefühl geben, daß jemand an sie glaubt.”

    • @Syra Stein: Ich glaube, diese von Ihnen geschilderten Erfahrungen haben viele gemacht, ich zumindest kenne kaum jemanden, der nicht ganz etwas ähnliches erzählen könnte. Die ideelle Unterstützung von Kindern halte ich für extrem wichtig, wahrscheinlich deshalb, weil ich die selben Sprüche gehört habe wie Sie, “Du willst Dich doch nur dicke tun”, “Du hälst Dich wohl für was Besseres” und so weiter. Inzwischen, nach Jahrzehnten, hat sich die Lage aber deutlich entspannt, wenn auch der fehlende Glaube von damals als Narbe bleibt. [Dafür gibt es jetzt in etwa Gleichaltrige, die mir eben das wieder vorwerfen, aus anderen Gründen natürlich – aber das ist ein anderes Thema.]

    • Hmm.. Herr Schlinkert, ich hoffe, Sie haben mich nicht mißverstanden. Ich wollte nichts dramatisieren, oder auf die Tränendrüse drücken. Die Lage hat sich entspannt… für Sie und für mich. Ja. Nicht aber für die Kinder der heutigen Generationen dieser Schichten, weil es immer noch so ist. Meine Schwester arbeitet seit 25 Jahren in diesem Job, sie hat im Durchschnitt 23 Kinder in der Gruppe, tagaus jahrein. Jedes Jahr verlassen Kinder die Gruppe, und es kommen neue Kinder hinzu. Bei 80 % der kleinen, meistens 3 – 4jährigen Neuankömmlinge heißt es: “Machen Sie mal, der/die muß in drei Jahren in die Schule… da ist Hopfen und Malz verloren….” Das ist in einem solchen Falle eine Aussage der eigenen Eltern, die Negationen des Jugendamtes, oder der Betreuer, tun ihr übriges. In einem Fall brauchte es zwei Jahre, bis meine Schwester die Eltern eines Kindes davon überzeugt hatte, daß es aufgrund seiner Begabung zur Musikschule gehen könne, dürfe, müsse… solle. Wenn fünf- und sechsjährige Kinder im Kindergarten, die als “soziale Dringlichkeit eingestuft sind”, beim Malen großen Wert darauf legen, bei der Frage nach dem richtigen Rot, auch das geforderte (in dem Fall ging es um Karmesinrot, und das wurde auch deutlich mit einem Selbstverständnis ausformuliert, daß es nur so krachte) gereicht zu bekommen, sagt mir das, welche Chance man diesen Kindern geben könnte. Und das macht mich wütend.

      Im Grunde ist das Thema mit den Gleichaltrigen kein anderes…. das bemerkte ich eindeutig beim letzten Klassentreffen. 🙂

    • Hmm.. Frau Stein, ich bin sehr sicher, Sie mitnichten mißverstanden zu haben. Es gibt für Erwachsene bei diesem Thema gemeinhin nichts zu dramatisieren, schon garnicht sollte auf die Tränendrüse gedrückt werden, denn es geht nicht um Schuldzuweisung sondern allein um die Gegenwart, die bei uns entspannt sein sollte, weil ja doch ein recht klarer Blick nun möglich ist. Die heutige Situation, die Sie so treffend beschreiben, macht auch mich wütend, vor allem weil die Kinder in ein letztlich ja doch willkürliches und auch vereinfachtes Schema gepreßt werden, nach allem was ich von Freunden höre, die im “Erziehungswesen” arbeiten oder gearbeitet haben. Gut, daß Ihre Schwester da so vehement Überzeugungsarbeit leistet.
      Mein letztes Klassentreffen liegt übrigens schon gut zwanzig Jahre zurück, die letzte Einladung etwa zehn Jahre. Ob ich wohl hingehen sollte, wenn noch einmal eins anberaumt werden sollte?

    • @Syra_Stein Mein Bedürfnis nach Erinnerungsschwelgen mit Ex-Mitschülerinnen ist relativ schwach ausgeprägt. Hab’ mich manchmal schon gefragt, warum, kam aber zu keinem Schluss bisher…

    • @Syra Stein Ein schönes Bild haben Sie gezeichnet mit den Wurzeln der Determinierung und deren Veredelung. Ausgraben wäre kein guter Weg, der führte nämlich in die Verelendung.

      Die Arbeit Ihrer Schwester wird immer wichtiger. Ich lasse dazu den Link auf ein Interview mit Michael Winterhoff da. Er meint: “Die moderne Pädagogik ist ein Luxus”. Erzogene Kinder, die dennoch unreif sind – das ist neu und hängt direkt mit unserer Vorstellung zusammen, dass nur die “Tüchtigen” voran kommen. Und wer wollte sich da schon eine Blöße geben….

    • Diese Blöße … Darf ich an dieser Stelle bitte kurz mal verkünden, ich bin durchaus tüchtig, schätze diese Eigenschaft auch an anderen, entdecke sie bei meinen Schüler:innen, fände es aber hochnotpeinlich, zu jenen zu gehören, die das von allen erwarten und fordern. Ein Volk ohne Leistungsbezweifler? Ohne Leute, die mit der Hälfte Arbeit auch noch ganz gut leben könnten, wenn man sie denn ließe?
      Oder ganz ohne? Ohne Tagträumer, Rumtreiber, Drückeberger, vermeintliche auf-der-Tasche-Lieger und so genannte System-Ausbeuter: wollen wir das? Und was ist mit den Künstler:innen? Müssen die auch Leistung bringen? Falls ja, wer verlangt sie von ihnen, da das, was sie tun, doch in den meisten Fällen eh nicht auf dem Markt (ver)handelbar ist?
      Leistung oder nicht Leistung – eine Rechenschaft, die ich mir selbst gegenüber ablege. Ebenso wie die Definition dessen, was denn genau »Leistung« bedeutet. Ein privater Vorgang, kein Beweis, den ich jemandem schuldig wäre. Nu isses raus, und da fliegen mir dann auch gleich die nächsten allergenen Begriffe um die Nase: Optimierung. Nachhaltigkeit. Relevanz. Nutzung. Frequenz. Ressource. Dynamik. Effizienz. Aktivierung. Dieses ganze Flipchart-Getue, Schluss damit! Mit solchem Vokabular versucht man die Denker schön im Gehege zu halten und die Nicht-Denker im Konsumentenparadies, wo sie ja auch hingehören, nicht wahr? Doch ein einziges eigenes Wort ist kostbarer als dieser ganze Enhancement-Quark, also lassen Sie sich nicht lumpen: Schnappen Sie sich mal eins und schnallen Sie eine Behauptung dran, so als tägliche kleine Übung. Es können auch zwei sein, Hauptsache, sie haben noch nie auf einem Flipchart gestanden.

      Diese Überlegungen stellte ich Anfang letzten Jahres an; die dazugehörige freundliche Aufsässigkeit konnte ich nur entwickeln, weil ich das Glück hatte, in Kindheit und Jugend liebevoll gefördert zu werden. Seit vielen Jahren schon gebe ich das an meine Schüler:innen zurück.

    • @Phyllis Ihre Überlegungen sähe ich gerne als eigenen Beitrag eingestellt und diskutiert, denn sie packen die Fiktion der Leistungsgesellschaft an den Weichteilen.

      Im übrigen möchte ich allgemein vorschlagen, nicht vom Glück zu sprechen, in Kindheit und Jugend gefördert worden zu sein, sondern vielmehr vom Pech jener, die’s nicht erleben durften (ich sage bewusst nicht: konnten). Der Gedanke an “unverdientes” Glück liegt mir nämlich zu nahe – ein fruchtbarer Nährboden für Schuldgefühle.

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